3.2.2.2 Umsetzung der Regelung in der chemischen Industrie
Die Regelungen des Tarifvertrages über Vorruhestand und Alters — Teil —
zeitarbeit in der chemischen Industrie sind als Angebot zu verstehen, von
dem der ältere Arbeitnehmer Gebrauch machen kann oder auch nicht.
Dabei steht auch der Zeitpunkt des Ausscheidens in der Disposition des
Arbeitnehmers, er kann also innerhalb des tarifvertraglichen Rahmens
selbst entscheiden, wann er die Regelung in Anspruch nimmt. Weder die
Personalleitung noch der Betriebsrat können einen älteren Arbeitnehmer
zwingen, über die Inanspruchnahme der tarifvertraglichen Regelung aus
dem Erwerbsleben auszuscheiden, d.h. ein Arbeitnehmer kann sich auch
bis zum Erreichen der "normalen" Altersgrenze für die volle Weiterarbeit
entscheiden‘.
Die betriebspraktische Umsetzung der GÜR — Regelung ist somit sehr
wesentlich von der individuellen Akzeptanz durch die älteren Arbeitneh —
mer abhängig. Wie die Inanspruchnahmezahlen zeigen, ist die anfängliche
Akzeptanz der tarifvertraglichen Regelung insgesamt, also des Vorruhe —
stands und der Alters — Teilzeitarbeit, als sehr dürftig zu bezeichnen. "Von
den rund 34.000 Anspruchsberechtigten in der chemischen Industrie hatten
bis Dezember 1986 28% (9.400) die tarifvertragliche Vorruhestandsregelung
in Anspruch genommen — darunter lediglich 2% (790) die Alters — Teil —
zeitarbeit —, und weitere 15% (5160) hatten eine betriebliche Regelung
genutzt"*,
Bis zum Juli 1988 gab es einen erheblichen Anstieg der Inanspruch —
nahme; geht man von etwas über 700.000 Arbeitnehmern aus, die unter
den Tarifvertrag der chemischen Industrie fallen (neben der chemischen
Industrie mit etwa 570.000 Beschäftigten gehören dazu z.B. auch Teile der
Kunststoffverarbeitenden Industrie oder des Kali—- und Steinsalzbergbaus),
so haben mit etwas über 30.000 Arbeitnehmern etwa 4,3% der unter den
Tarifvertrag fallenden Arbeitnehmer die Altersregelung in Anspruch
genommen. Von diesen 30.000 Arbeitnehmern ist von etwa 1.600 Alteren
die Alters — Teilzeitregelung gewählt worden, was einem Anteil von etwa
5,3% (bezogen auf die 30.000 Arbeitnehmer) entspricht.
Auch wenn die 5% —- Überforderungsgrenze von einigen Unternehmun —
gen sehr flexibel interpretiert wird, indem sie nämlich nicht auf einzelne
Betriebe oder Werke, sondern auf den gesamten inländischen Konzern
bezogen wird, ist also auch heute (Juli 1988) die Überlastquote von 5%
— bezogen auf etwa 700.000 Beschäftigte — noch lange nicht erreicht.
Sowohl diese mangelnde Inanspruchnahme insgesamt, aber auch der
Anstieg der Inanspruchnahme im Zeitverlauf bedürfen nun der Interpre —
tation. Die anfänglich sehr geringe Akzeptanz (als tatsächliche Inan-
Vgl. auch Kobli, M. u.a. (1988), S. 27.
Kohli, M. u.a. (1988), S. 21.
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