Zwar läßt sich die chemische Industrie nicht, wie z.B. die Zigaretten —
ınd Zementindustrie, durch eine Situation des Personalabbaus kennzeich —
nen, und von daher fehlt auch für ältere Arbeitnehmer der Druck des
Arbeitsmarktes und damit antizipierter Arbeitslosigkeit*, dennoch besteht
aber auch hier auf seiten der Unternehmungen ein großes Interesse an
einer Alters- und Qualifikationsumschichtung. Die Altersstruktur in der
chemischen Industrie sieht nämlich so aus, daß der Anteil der über
50jährigen Arbeitnehmer 24,6% beträgt (Stichtag 30.6.1986); nimmt man
die Altersgruppe der 45-49jährigen noch hinzu, so erhöht sich der Anteil
auf über 40%*!°. Von daher gehört die chemische Industrie von der
Altersstruktur her zu den relativ überalterten Industriebereichen, was —
gerade in Zeiten des technologischen Umbruchs — die älteren Arbeit-—
nehmer zu einer strukturellen Problemgruppe macht. Neue Technologien
(z.B. rechnergesteuerte Meß- und Regeltechniken) erfordern nicht nur
neue fachliche Qualifikationen, es entstehen auch neue Berufe, die am
ehesten von jungen Leuten ausgefüllt werden können. Gerade der anstei —
gende Bedarf an höherqualifizierten Arbeitnehmern (z.B. Chemiefach —
arbeiter) hat mit dazu geführt, daß verstärkt Lehrlinge ausgebildet werden,
denen aber nach der Lehre nicht immer ein Arbeitsplatz angeboten wer -—
den konnte. Hier hat aber gerade der Vorruhestand den Unternehmungen
geholfen, dem — u.a. bedingt durch die demographische Entwicklung —
antizipierten Facharbeitermangel beizukommen. Die tarifvertragliche Re-—
gelung "hat uns aber sehr geholfen, sehr viele Lehrlinge übernehmen zu
können, die wir in den letzten Jahren ausgebildet haben. ... Wir haben
nicht immer genügend Arbeitsplätze gehabt, um jedem sagen zu können,
dich übernehmen wir. Aber wir haben es trotzdem geschafft, und dabei
hat uns die Vorruhestandsregelung sehr geholfen, denn das sind die
Arbeitskräfte, die wir in ein paar Jahren sicherlich brauchen werden.
insofern ist es auch von der Sicherung des zukünftigen Personalbedarfs
her ein gutes Instrument gewesen" (Personalleitung). Insoweit dient also
insbesondere die Vorruhestandsregelung dazu, junge, gut ausgebildete
Fachkräfte an die Unternehmung zu binden und gleichzeitig über die
Sicherheit des Arbeitsplatzes die Attraktivität und das öffentliche Image
der Unternehmung zu verbessern. Gleichzeitig hilft dies aber auch, Kosten
zu sparen, denn gerade die größeren Chemiekonzerne sind in den letzten
Jahren vermehrt dazu übergegangen, angesichts des antizipierten Fach -—
arbeitermangels Lehrlinge zu übernehmen, die sie aktuell gar nicht benö-—
tigen. Dieses "Horten" von jungen Fachkräften zusammen mit der Politik,
älteren Arbeitnehmern auch in Krisensituationen nicht zu kündigen ("wir
Al
Dieser fehlende Arbeitsmarktdruck kann auch als ein wesentlicher Grund dafür
gesehen werden, daß die 5% Überforderungsgrenze in der chemischen Industrie
aicht erreicht ist.
Vgl. Kohli, M. u.a. (1988), S. 29f.
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