/. Zum_aktuellen_Problemzusammenhang gleitender_Ruhestandsmodelle
1.1 Der GÜR aus individuell - gerontologischer Sicht
Da der Übergang in den Ruhestand zur Zeit für die meisten betroffenen
Arbeitnehmer abrupt von heute auf morgen geschieht und von daher eine
Bruchstelle darstellt, bedeutet das Ausscheiden aus dem Erwerbsleben —
gerade weil Arbeit die Chance zur Identitätsbildung, Anerkennung und
Selbstbestimmung erheblich beeinflußt — für viele Menschen einen tiefen
Einschnitt in ihrer Lebensgeschichte; der Eintritt in die neue, noch weit —
gehend unbekannte und noch nicht erfahrene Lebenssituation "Ruhestand"
unterliegt der Gefahr, zu einem kritischen Lebensereignis* zu werden, das
sich zu einer Krisensituation ausweiten kann.? Die Folgen können
schwerwiegende Anpassungsprobleme an die neue Lebensform sein.
Selbst wenn der Ruhestand heute zur selbstverständlichen Grundlage
der Biographiekonstruktion und somit zur Normalitätserwartung gehört —
wobei es sicherlich noch von wesentlicher Bedeutung ist, wann und warum
es zur Verrentung kommt —, ist damit noch lange nicht sichergestellt, daß
der Übergang in den Ruhestand auch problemlos und konfliktfrei erlebt
wird.
Die Möglichkeit, das kritische Lebensereignis "Verrentung" unbeschädigt
zu überstehen, indem eine relativ konfliktfreie Anpassung an den Ruhe -
stand gelingt, ist dabei umso größer, je mehr das Verrentungsmodell mit
der individuellen Alternsentwicklung kompatibel ist.
"Die Forderung nach einem gleitenden Ruhestand durch Vertreter der
psychologischen Gerontologie basiert auf der Erkenntnis, daß der Über -
gang vom Berufsleben in die Altersruhe eine psychische Krisensituation
darstellt, die um so stärker krisenhaft empfunden wird, je abrupter sie
erfolgt und je skeptischer die betroffenen Arbeitnehmer dem bevorste —
henden Ruhestand gegenüberstehen."®
Vgl. Filipp, S.H.(Hrsg.) (1981); Ellwell, F./Maltbie — Crannel, A. (1981); Petzold, H.
(1983).
Vgl. Eisdorfer, C. (1972), S. 259; Rosenstiel, L.v. (1983), S. 166; Schüle, U. (1987),
S. 59. Die durch den Übertritt in den "Ruhestand" notwendig werdenden
Anpassungsleistungen beziehen sich dabei nicht nur auf den "Ruheständler" selbst,
sondern gelten auch z.B. für die Familie und Partner. Von daher ermöglicht der
GÜR auch dem Lebenspartner bzw. der Familie ein langsames Hineingleiten und
Gewöhnen.
Schüle, U. (1987), $.49