Full text: Die Praxis des gleitenden Übergangs in den Ruhestand

wenig gewonnen; für uns ist es wichtig zu erfahren, wie diese "objektive" 
Realität in und durch die Subjekte hindurch wirksam wird. 
Die Verrentungssituation muß so erfaßt werden, wie sie sich für das 
sinzelne Subjekt darstellt; der Mensch reagiert auf "objektive" Reize 
nämlich nicht unmittelbar, sondern immer vermittelt über selektive und 
interpretative Wahrnehmungsprozesse. Wollen wir menschliches Verhalten 
erklären, hier konkret Entscheidung für den GUR, muß die subjektive 
Situation somit die zentrale Erhebungseinheit sein.®° Gleichzeitig kann 
man dem interpretativen Charakter der sozialen Wirklichkeit am ehesten 
durch eine interpretativ — heuristische Methodologie gerecht werden. 
Wir sind somit der Meinung, daß eine angemessene Erfassung der 
jeweiligen individuellen Deutungen und Relevanzen in der jetzigen Pro- 
jektphase mit Hilfe standardisierter Erhebungsverfahren nicht sinnvoll ist; 
diese kommen eher dann in Frage, wenn 
1. die Befragten vergleichbare Beurteilungskriterien anwenden und 
2. diese mit denen der Forscher übereinstimmen** bzw. wenn die 
jeweilige Realitätskonstruktionen auf die gleiche Weise vorge -— 
nommen werden (gleichartige Kommunikationsebene). 
Dies ist jedoch schon allein aufgrund individuell unterschiedlicher biogra — 
phischer Lebensläufe mit Konsequenzen für das subjektive Erleben von 
Alter, Arbeit, Beruf, Freizeit, Verrentung usw. nicht zu erwarten. Von 
daher sind wir auf offene, nicht — standardisierte Verfahren wie Gruppen - 
diskussion, Leitfaden — Interview, narratives Interview oder Tiefen -— Inter — 
view angewiesen. 
Da die unterschiedlichen Be -— Deutungen, die die Befragten und/oder 
die Forscher den genannten Phänomenen’ (Alter, Arbeit, Familie, Freizeit, 
Geld, Ruhestand usw.) beimessen, nur aus.dem (biographischen) Gesamt — 
kontext verstehbar sind, dieser mit standardisierten Fragen jedoch nicht 
angemessen erfaßt werden kann, sind wir auf Erzählungen von älteren 
Arbeitnehmern angewiesen. 
Die Unangemessenheit quantitativer Verfahren wird auch daran deutlich, 
daß diese darauf angewiesen sind, komplexe Situationen durch Eliminie — 
rung von "Störvariablen" möglichst zu bereinigen und ihre Authentizität 
zugunsten von Standardisierbarkeit und Reproduzierbarkeit auszuschalten?‘; 
ein standardisiertes Vorgehen formalisiert die Unterhaltung zu einem 
Frage — Antwort — Spiel, in dem Antwortmöglichkeiten und individuelle 
Relevanzsysteme quasi vorgegeben und damit eingeengt sind. Die von uns 
erhoffte Aufdeckung eines umfassenden Spektrums von Einflußfaktoren 
individuellen Verrentungsverhaltens wurde somit erschwert. Gleichzeitig 
zerstört die in standardisierten Forschungssituationen 1.d.R. künstliche und 
30 Vgl. Stachle, W.H. (1977), S. 112 
31 Vgl. Osterloh, M. (1982), S. 5—6 
32 Vgl. Berger, H. (1980), S. 203ff, Alheit, P. (1983), S. 220 
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