Full text: Die Praxis des gleitenden Übergangs in den Ruhestand

auf der Grundlage von Gerechtigkeitskonzepten (ist), die unmittelbar auf 
die alltägliche und dauerhafte Erfahrung der Arbeit bezogen sind".“®® 
Aber auch andere Untersuchungen zeigen, daß z.B. bzgl. der Einstellung 
zur Arbeit und damit indirekt auch bzgl. der Verrentung der biographische 
Hintergrund entscheidend dafür ist, wie Arbeit in der Perspektive des 
Subjekts inhaltlich angeeignet wird, wobei Interpretationen von ’objektiven’ 
Gegebenheiten nie statisch zu denken sind. Sie sind immer formuliert vor 
dem Hintergrund vergangener Erfahrungen und Erwartungen für die 
Zukunft".*° Von daher sind auch die Lebenszyklus - Theorie und die 
Wahlhandlungstheorie Bestandteile unserer Untersuchungen.“* 
Was die Auswertung der Interviews anbelangt, so ist zu berücksichtigen, 
daß interpretierende Schritte nicht erst nach der Erhebung stattfinden, 
sondern bereits in den Orientierungsrahmen, in die Strukturierung und 
Konzipierung des Interviewleitfadens, in die konkrete Interviewdurchfüh — 
rung etc. Eingang gefunden haben. Dennoch standen wir auch bei der 
Auswertung und Interpretation des erhobenen Materials vor dem Problem, 
individuelle Aussagen, Argumentationsmuster, Statements und andere 
Bewußtseinsrepräsentanzen auf ihre Adäquanz, Konsistenz und "Richtigkeit" 
(ob es tatsächlich so war) zu überprüfen. Da aber die "objektive Realität” 
als Korrektiv und Instanz zur Überprüfung der Angemessenheit subjektiver 
Wirklichkeitsentwürfe dem Forscher nicht zugänglich ist, versuchten wir die 
einzelnen Interviews — durch Zusammensetzung der Interpretationsgruppen 
— aus einem je unterschiedlichen Vorverständnis, aus verschiedenen 
Blickwinkeln und Theorierichtungen heraus zu interpretieren“. In 
Ermangelung eines allgemeingültigen Kriteriums für die Allgemeingültigkeit 
von Interpretationen geht es uns dabei vorwiegend darum, über eine 
interpretierende Rekonstruktion des individuellen Sinns und der individu — 
ellen Bedeutung der Entscheidung für den GUR, nachvollziehbar zu 
machen, warum jemand das Gleitmodell gewählt hat. Über eine kom - 
mentierende und interpretierende Ergänzung der "Selbstzeugnisse” der 
8 Kohli, M./ Wolf, J. (1986), S. 18f. 
+0 Vgl. z.B. Kern, H./Schumann, M. (1984). 
23 Anmerkung: Daß sich die jeweiligen Einstellungen, Deutungen, Situationsdefinitionen, 
Relevanzsysteme etc. nur unter Zuhilfenahme von biographischem Material 
zrschließen lassen, die die gesamte Lebenssphäre umfasssen, konnte sehr eindrucks - 
voll in vielen Projekten der Frauenforschung gezeigt werden; so sind z.B. die Ein- 
stellungen vieler Fabrikarbeiterinnen zur Erwerbsarbeit nur vor dem Hintergrund 
ihrer Erfahrungen als Mädchen, Ehefrau, Hausfrau, Mutter etc. verstehbar. Vgl. z.B. 
Becker — Schmidt, R. (1980, 1983) oder Schöll — Schwinghammer, I. (1979). 
Eine Interpretation sollte durch eine Gruppe erarbeitet werden, die die je persön- 
lichen Beschränkungen ausgleichen können" (Fuchs, W. 1984, S. 297).
	        
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