Nachweislich erfolgt die dramatische Aufführung am Grabe Christi in
England und Deutschland schon im 10. Jahrhundert am Ostersonntag — gegen
Ende des karolingischen Zeitalters begegnet uns das geistliche Schauspiel zum
ersten Male; die Darstellungen fanden in der Kirche durch die Geistlichen und
Chorknaben statt. Die Sprache war latein. Die Zeitverhältnisse und auch die
innere Natur bedingten rasche Entwickelung; es wurde immer reicher und seiner
Anlage gemäß auch immer schwülstiger, es wuchs an Zeitdauer und Raum,
Handlung reihte sich an Handlung. Die Kirche konnte die Größe der Bühne
und die Zuschauermenge schon zur Zeit der Kreuzzüge nicht mehr fassen, des-
halb wurde das Spiel am Ende des ı4. Jahrhunderts vor die Kirche verlegt;
es tritt hinaus auf die Straße, auf einen großen freien Platz, ja selbst zuweilen
auf den Kirchhof. Die große Zahl der handelnden Personen, die immer mehr
sich breit machende Komik erforderten die Mitwirkung von Laien als Darsteller
und damit weiter auch die Einführung der Landessprache. Das geistliche
Schauspiel verband nun Kirche und Volksleben. Immer mehr machte sich jetzt
weltliche Lustbarkeit, unglaublich derbe, oft zotenhafte Komik und Possenreißerei
breit; alles wurde auf Pomp und Sinnenreiz zugeschnitten, der heilige Ernst der
Stücke ging verloren, die Verweltlichung war am Beginn des 16. Jahrhunderts
so vollständig, daß das geistliche Schauspiel zum geistlichen Possenspiel‘ herab-
sank. In der Mitte des 1ı6. Jahrhunderts verliert das geistliche Spiel seinen
Einfluß auf die Darstellungen der bildenden Künste. Während des 15. Jahr-
hunderts kamen seine Aufführungen dramatisch und szenisch zur höchsten Ent-
wickelung, ganz besonders in Frankreich und Italien.°) —
Beim Hervortreten des reformatorischen Gedankens, beim Erwachen des
Humanismus änderten sich die Zustände®). In Italien war der ‚Sinn für die
Antike nie völlig erloschen; die selbst als Ruinen noch riesenhaften und über-
wältigenden Trümmer alter Kunstschöpfungen beschäftigten die großen Geister.
Auch die dramatischen Werke der Alten wurden natürlich in den Kreis
der Studien gezogen, und nachdem 1428 zwölf neue Lustspiele des Plautus ent-
deckt worden waren, begann auch die eigene dramatische Literatur sich zu
entwickeln, wenn auch immer im Hinblick auf klassische Vorbilder. Man be-
gnügte sich bald nicht mehr mit dem Lesen und Nachahmen des antiken
Dramas, sondern wollte dieses auch auf der Bühne erneut zur Darstellung
bringen. Dies geschah zum ersten Male durch das Haupt der römischen
Akademie Pomponius Laetus in Rom zwischen 1484 und 1492 während der
Regierungszeit Innocenz VII., und gleichzeitig durch Ercole I. von Este zu
Ferrara im Karneval 1486.”) Hiermit beginnt eine neue Betätigung theatralischer
Kunst, die in ihrer weiteren Entwickelung auf das moderne Drama führt. In
ihr hat auch der moderne Theaterbau seinen Ursprung. —