Full text: Das Tragische: die Erkenntnisse der griechischen Tragödie

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sichtig bekämpfen. Das ist das Endergebnis menschlicher Selbst- 
iiberheblichkeit: daß die Götter eingreifen, rigoros, unnachsichtig, 
und dem Menschen die Grenze jeglicher Hybris bedeuten, indem 
sie ihn zerschmettern. So heißt es von Zeus bei Aischylos: »Vom 
hohen Turme des / Höffens stürzt in den Staub er die Menschen / 
Und rüstet kein Heer aus; Mühlos / Ist ja der Himmlischen Wir 
ken.« Was ist der Mensch? möchte man fragen, und was gilt alle 
menschliche Eitelkeit, da eine Bewegung, ein Anhauch der Götter 
dies zu verkehren vermag ins äußerste Elend? Und wie vage sind 
die Grenzen zwischen Glück und Unglück, da die Götter, unmerk 
lich fast, das eine mit dem andern vertauschen! Wer auf den 
Höhen des Lebens steht, wer Reichtum, Macht, Ehre sein eigen 
nennt, den komme nicht Stolz an oder falscher Übermut, denn 
ein Zugriff der Himmlischen genügt, um seinem Geschick eine 
gänzlich unerwartete Wendung zu geben. Ja, Zeus ist auf der 
Hut, er nimmt zur Kenntnis, wenn Menschen prahlen und die 
ihnen gese^ten Maße überschreiten; niemand ist vor seinem Zorn 
sicher —: »Wolle Zeus hören das Prahlen der Prahler, / Der 
Frevler, und wenn Götter denn Götter sind, / Auf der Flur sie 
vernichten!« Es ist also geradezu ein Ausweis der göttlichen Macht 
und Überlegenheit, daß der Mensch nicht grenzenlos, nicht unge 
straft sich erhebe, sondern daß ihn auf der Stelle der göttliche 
Zorn treffe. »Wenn Götter denn Götter sind«: eine Welt, in der 
das Unrecht wächst ohne Maß, und in der Menschen sich vergehen, 
ohne gezüchtigt zu werden, eine solche Welt müßte von den Göt 
tern für immer verlassen sein. 
Die Frömmigkeit versteigt sich bis zu dem Satj, daß jeder Mensch, 
der versucht, im Vertrauen auf die eigene Kraft eine Aufgabe zu 
lösen und sich der Hilfe der Himmlischen zu entschlagen, eine 
Sünde begehe. Zu jedem Werk, das der Mensch angreift, gehört 
grundsätjlich der Glaube an die Götter und an deren Mithilfe. 
Sophokles hat im Aias ein Bild des Menschen gezeichnet, der 
selbstherrlich seinen Weg allein zu gehen versucht — bis zum 
bitteren Ende. Nichts reizt die Götter sicherer zum Zorn als jene 
Hybris, welche im schrankenlosen Vertrauen auf die eigene Kühn 
heit und Macht ihren Ausdruck findet. Von Aias wird berichtet, 
daß, als er aus der Heimat zum Kampf zog, der Vater ihn ermahnt 
habe, im Siegesdurst der Götter nicht zu vergessen. Der Sohn 
aber gab zur Antwort: »Mit Götterhilfe, Vater, kann sogar ein 
Wicht / Den Sieg erringen, aber ich getraue mir, / Auch ohne sie 
zu pflücken meines Ruhmes Kranz. / So sprach er übermütig. 
Dann, ein andermal, / Als ihn die Göttin Pallas einst zum 
Kampfe trieb, / Damit er tauche seine Hand in Feindesblut, / Da 
rief er ihr in frechem Übermute zu: / Den andern Griechen, 
Herrin, stehe schürend bei, / Hier aber, wo ich stehe, bricht kein 
Feind hindurch.« Daß der Held sich durch diese und ähnliche
	        
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