Full text: Das Tragische: die Erkenntnisse der griechischen Tragödie

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zeitweise keinen direkten Grund, zur Unzufriedenheit bieten: der 
Vergleich mit den Umständen anderer zwingt immer wieder zu 
der Einsicht, daß man selbst von den Göttern verworfen ist. 
Für den Menschen, welcher so, sich, selbst zu Lust und Leide, die 
eigene Perspektive in den Mittelpunkt der Welt rückt, gibt es nur 
ein Gesetz: das Gesetz des Erfolges. Erfolg haben, das heißt, dem 
Ich immer wieder jene Triumphe verschaffen, die es begehrt. 
Diese Triumphe pflegen zur Voraussetzung zu haben, daß es Be 
siegte gibt; Erfolg ist immer Erfolg über andere. Für die Jagd 
nach dem Erfolg spielt clie Rücksicht auf Sitte, Recht, Gesetz nicht 
die mindeste Rolle. Im Gegenteil: Rücksicht, Verantwortlichkeit 
bedeuten den Tod des Erfolges. Die Schwester des Erfolges ist 
die Brutalität, mit der alles niedergeknüppelt wird, was den Erfolg 
gefährden könnte. Der Erfolg sanktioniert' sich selbst, er bedarf 
keiner weiteren Bestätigung von außen. Es ist schon so, wie 
Aischylos sagt: die Ehrfurcht schwindet in der Welt, denn sie ist, 
vom Gesichtspunkt des Einzelnen aus gesehen, in keiner Weise 
produktiv, sondern nur ein Hemmnis. An die Stelle der Ehrfurcht 
tritt der Kult des Erfolges: »Jetjt ist’s der Erfolg, / Der gilt als 
Gott bei den Menschen und für mehr als Gott.« — Man irrt auch, 
wenn man glaubt, Klugheit sei jene geistige Haltung, welche sich 
an den großen objektiven Gesehen orientiert. 0 nein, wer seine 
Handlungen am Objektiven ausrichtet, ohne des eigenen Nutzens 
oder Schadens Erwägung zu tun, der ist von Klugheit sehr weit 
entfernt. Das Kriterium der Klugheit ist ein anderes: »Der Klug 
heit Maßstab ist ja der Erfolg« (Euripides). 
Die Unausrottbarkeit des Egoismus und die Vergötterung des Er 
folges, sie kennzeichnen besser als vieles die elementare Tragik 
des Menschseins. Und dazu kommt nun als drittes die These, daß 
der Zweck die Mittel heilige. 
Das konnte nicht ausbleiben; um Erfolg zu haben, muß nach 
gerade jedes Mittel recht sein, denn mit dem Erfolge steht und 
fällt ja die Existenz. Wer wird also Mittel verschmähen, welche 
zur Selbsterhaltung dienen, selbst gesetzt den Fall, daß diese Mit 
tel unschön und unpassend sind? Als Meister der Taktik erscheint 
den Hellenen immer wieder Odysseus; und so wird er denn 
auch bei Sophokles geschildert. Dem jungen Neoptolemos, der 
dumm ist vor Tugendhaftigkeit, stellt Odysseus mit schmeicheln 
den Worten vor: »Nun weiß ich wohl, mein Lieber, daß dein 
grader Sinn / Den krummen Weg verachtet und das falsche Spiel; 
/ Indessen hold und lieblich winkt des Sieges Lohn. / Drum 
frisch gewagt! Nur eine Stunde folge mit / Und weiche von dem 
graden Weg der Tugend ab; / Dann wollen wir auch einmal 
wieder wahr und ehrlich sein, / Und deine reine Tugend, deine 
Lauterkeit' / Soll hoch gepriesen werdeti bis in Ewigkeit.« Bald 
hernach entspinnt sich folgende klassische Wechselrede: Neopto-
	        
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