Full text: Pädagogische Psychologie

304 1. Teil. Besondere pädagogische Psychologie. 
nannt hat; denn tatsächlich suchen die meisten Menschen im 
Roman außer dem Kunstgenuß noch anderes, nämlich Be- 
lehrung und Aufklärung, Welt- und Lebensanschauung, Lösung 
von psychologischen und ethischen Fragen. Vom bloß ästheti- 
schen Standpunkte aus lassen sich weder Tolstoi noch Dosto- 
jewski, weder Ibsen noch E. von Handel-Mazetti hinreichend 
würdigen, ein Beweis, daß man unter dem Begriffe der Kunst 
oder.der schönen Künste sehr verschiedene Dinge versteht und 
daß das Ästhetische nicht in jeder Kunst gleiche Ausdehnung 
und Tiefe hat. 
6. Über die Freude des Kindes am Drama brauchen wir 
nicht mehr viel zu sagen. Die Entwicklung geht aus vom Be- 
gleiten der Verse durch eigene Handlungen und endet mit dem 
Genuß durch Schauen und Hören beim Schauspiel. Der erste 
Eindruck, den dieses auf etwas ältere Kinder macht, pflegt 
außerordentlich stark zu sein. Es geht dem Kinde eine neue 
Welt auf, wenn der Vorhang sich hebt und es die Menschen 
mit jenen Kostümen, die es bisher nur auf Bildern sah, in Wirk- 
lichkeit erblickt. Das Mitfühlen, das die Vorgänge auf der Bühne 
in ihm auslösen, pflegt so lebhaft zu sein, daß. es sich nur mit 
Mühe und oft ohne Erfolg von augenblicklichen Äußerungen 
zurückhält, wie wir das noch bei Ungebildeten beobachten 
können. Gern spielt es nachher zu Hause selbst Theater, wenn 
es sich nicht mit dem Puppentheater begnügt, und jenes Nach- 
ahmen der Schauspieler unterscheidet sich von sonstigen Spielen 
der Kinder mit verteilten ‚Rollen dadurch, daß es sich nicht mit 
der eigenen Illusion begnügt, sondern bei den Zuschauern die 
Hlusion hervorrufen will. T 
Literatur. 
A. Dyroff, Über das Seelenleben des Kindes. 2. Aufl. Bonn 1911. S. 94—147. 
F. Giese, Das freie literarische Schaffen bei Kindern und Jugendlichen, 
Leipzig 1914. 
S 31. Die Entwicklung der .bildenden Künste. 
I. Wie es irreführend ist, wenn man gerade die Geschichte 
der bildenden Künste mit Vorliebe als Kunstgeschichte schlecht- 
hin bezeichnet, so-war es psychologisch bedenklich, wenn man 
die ästhetische Entwicklung des Kindes am sichersten und 
leichtesten auf diesem Gebiete glaubte feststellen zu können. 
Diesem methodischen Fehler entsprach eine fast. unbegreif-
	        
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