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Der Schilderung meiner Frau zufolge hielt sich Wladimir
Iljitsch gerade in irgendwelchen persönlichen Angelegenheiten
in Krasnojarsk auf, als sie diese Stadt passierte, und beeilte
sich, sie dort aufzusuchen, um ihre Bekanntschaft zu machen
und sie bei ihrer Ueberfahrt nach Minusinsk unter seinen Schutz
zu nehmen. Er hatte auf sie den Eindruck des allerliebens
würdigsten und umgänglichsten Menschen gemacht, der ihr je
mals in den Weg gekommen war. Unterwegs erwies er sich
gegen sie und gegen A, M. Starkowa, die zu ihrem Gatten reiste,
außerordentlich fürsorglich und aufmerksam. Als während der
sechstätigen Reise auf dem kleinen Dampfer, der kein Büffet
besaß, eine Lebensmittelkrise eintrat, erbot er sich, bei den
Bauern Lebensmittel für die Passagiere aufzutreiben, und be
gann schnell den hohen, steilen Berg hinaufzuklettern, der fast
senkrecht zum Jenissej-Fluß abfiel.
„Hm . , .“, dachte ich damals bei der Lektüre des Briefes
meiner Frau, „das sieht eigentlich den „Generalsallüren“ gar
nicht ähnlich , .
Noch eine Besonderheit an ihm fiel meiner Frau während
der Dampferfahrt auf. Ihre Koje befand sich in der Nähe der
Koje von Wladimir Iljitsch, und sie konnte ihn gelegentlich bei
seiner Lektüre beobachten. Er hielt irgendein ernstes Werk
in der Hand. Es verging keine halbe Minute, und bereits
schlugen seine Finger eine neue Seite auf. Sie begann sich
dafür zu interessieren, ob er das Buch Zeile für Zeile lese oder
bloß mit den Augen die Seiten überfliege. Wladimir Iljitsch
erwiderte lächelnd, ein wenig erstaunt über die Frage:
„Natürlich lese ich, und zwar lese ich sehr aufmerksam,
denn das Buch ist es wert . . .“
Dieser kleine Charakterzug, der die außerordentliche
Produktivität der Kabinettsarbeit Wladimir Iljitschs kenn
zeichnet, ist interessant, besonders im Hinblick auf die Tatsache,
daß er in der Folge im Laufe von etwa anderthalb Jahren sich
mit dem Studium der philosophischen Literatur in der Pariser
Nationalbibliothek und im Britischen Museum befaßte und dabei
Zeit fand, sein bekanntes Buch „Materialismus und Empirio
kritizismus“ zu schreiben, wo es in diesem Werk Hunderte von