Englisch-portugiesischer Vertrag
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dem Besuche König Manuels in Windsor im Frühjahr 1899 die englisch
portugiesischen Beziehungen immer enger gestalteten. Mehrfach be
tonten die Minister in Lissabon öffentlich das enge Bündnis- und Freund
schaftsverhältnis zu England; auch gestatteten sie beim Ausbruch des
Burenkrieges den Engländern die Benutzung der Delagoa-Bahn für
militärische Transporte.
Man wußte damals in Berlin noch nicht, daß bei jenem Besuche
König Manuels eine ausdrückliche Erneuerung der alten zwischen Eng
land und Portugal im 17. Jahrhundert geschlossenen Bündnisverträge
stattgefunden hatte, die Großbritannien zum Schutze aller augenblick
lichen und künftigen Besitzungen Portugals verpflichtete. Dieser so
genannte „Windsor-Vertrag“ stand zwar mit dem Wortlaut der deutsch
englischen Abmachungen nicht in Widerspruch, da in diesen niemals
eine direkte Beraubung Portugals in Aussicht genommen war. Aber
mit dem Geist dieses Vertrages war er schwer zu vereinbaren. Denn
dessen stillschweigende Voraussetzung war es doch, daß Portugal, wenn
auch ohne Anwendung gewaltsamer Mittel, durch den Druck der
finanziellen Not gezwungen werden sollte, seine afrikanischen Kolonien
an Deutschland und England zu veräußern. Portugal hatte von der
Existenz dieser Abmachungen Wind bekommen und benutzte geschickt
die gerade damals wegen der Samoafrage zwischen Deutschland und
England herrschende Spannung, um die Erneuerung des alten, formell
niemals aufgehobenen Bündnisses zu erreichen. Salisbury glaubte wohl
dem portugiesischen Begehren nicht ausweichen zu können, ohne den
Verdacht zu erwecken, daß er eine sofortige Aufteilung der Kolonien
gegen Portugals Willen mit Deutschland verabredet habe. Auch mag
der Wunsch, in der Benutzung der Delagoa-Bahn keine Schwierigkeiten
zu finden, falls es in Südafrika zum Kriege komme, dabei mitgesprochen
haben. Dazu kam, wie gesagt, die damalige Spannung mit Deutsch
land; so ging man auf Portugals Wünsche ein.
Obwohl die deutsche Regierung von dem Abschluß des Windsor-
Vertrages noch nichts wußte 4 ), sah sie doch deutlich die Anzeichen
einer starken englisch-portugiesischen Annäherung. Bülow erblickte
darin ein Symptom, daß England das Abkommen von 1898 verleugne.
„Nach dieser Erfahrung, schrieb er, werden wir zu erwägen haben,
ob es sich bei der nächsten gebotenen Gelegenheit empfiehlt, wieder
ein solches Abkommen ä longue echeance zu schließen, oder nach
Art der Bündnisse früherer Jahrhunderte unmittelbar vor dem Eintritt
in die Aktion.“ Wenn England durch Amerikas Verhalten in der Frage
des Panamakanals ernüchtert sei, werde der Moment zum Verhandeln
nähergerückt sein. Bis dahin gelte es abzuwarten und die Engländer
4 ) Man erfuhr Genaueres darüber erst bei der Wiederaufnahme der Ver
handlungen über die Zukunft des portugiesischen Afrika in den Jahren 1912
bis 1914; s. unten Kapitel 17.