Full text: Von Bismarck zum Weltkriege

21 Brandenburg, Von Bismarck zum Weltkrieg 
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Haltung des Kaisers 
ausgesetzt zu haben, daß eine drohende Handbewegung die franzö 
sischen Kompensationsangebote schon herauslocken werde. Private 
durch einen Bankier vermittelte Nachrichten aus Paris besagten, daß 
Frankreich uns an kolonialen Gebieten geben werde, was wir nur 
haben wollten, wenn wir ihm nur endlich in Marokko völlig freie 
Hand ließen 5 ). Auch Caillaux machte dem deutschen Botschafter ähn 
liche unverbindliche Andeutungen. Darauf scheint Kiderlen sich ver 
lassen zu haben. 
Der Reichskanzler wurde für diesen Plan gewonnen. Er verteidigt 
ihn noch in seinen Erinnerungen als einziges Mittel, Frankreich zum 
Sprechen zu bringen. Er fuhr sofort nach Karlsruhe, wo der Kaiser 
am 4. Mai eingetroffen war, um ihm Vortrag zu halten. Noch vor 
wenigen Tagen hatte der Kaiser sich von Korfu aus gegen jedes Ein 
greifen in Marokko ausgesprochen 6 ). Hatte er doch geglaubt, mit 
dem von ihm durchgesetzten Vertrage von 1909 sei diese Sache für 
uns endgültig erledigt. Hier wurde er umgestimmt, wahrscheinlich, in 
dem der Reichskanzler ihm vorstellte, daß eine so günstige Gelegenheit 
zur kostenlosen Abrundung unseres afrikanischen Kolonialreiches nicht 
versäumt werden dürfe. Wenn der Kaiser hier aber auch prinzipiell den 
Versuch zur Erlangung von Kompensationen guthieß, so gab er doch 
noch nicht die Vollmacht zur Entsendung eines Kriegsschiffes. Er 
glaubte offenbar, daß alles schon wohl vorbereitet sei und in Frieden 
und Freundschaft abgemacht werden könne. Er reiste in den nächsten 
Wochen nach London zur Enthüllung eines Denkmals der Königin 
Viktoria und sagte hier dem König Georg, der ihn etwas besorgt fragte, 
er denke nicht daran, gegen Frankreich Marokkos wegen Krieg zu 
führen, er wolle nur für die „offene Tür“ eintreten und vielleicht Kom 
pensationen fordern 7 ). 
Frankreich erklärte nochmals feierlich, die Besetzung solle nicht 
länger als nötig dauern und nur zur Sicherung der Souveränität des 
Sultans dienen. Sollte man durch die Gewalt der Tatsachen weiter 
geführt werden, als man beabsichtige, sagt Minister Cruppi, so werde 
man eine Verständigung mit Deutschland suchen und finden (30. Mai). 
Auf inoffiziellem Wege ließ man Herrn v. Schön andeuten, daß man 
zur Überlassung der französischen Kongokolonie an Deutschland gegen 
Abtretung des viel kleineren Togo bereit sein werde 8 ). 
Am 21. Mai besetzten die Franzosen Fez ohne Kampf. Am 10. Juni 
erklärte Cruppi Herrn v. Schön, die Stadt würde, da die Ordnung her 
gestellt sei, alsbald wieder geräumt werden, aber französische Instruk 
teure sollten zur Ausbildung der Armee des Sultans dort bleiben, und 
6 ) Schön, 7. Mai. 
6 ) Jenisch an das Auswärtige Amt, 30. April. Vgl. ferner über den 
ganzen Verlauf den Immediatbericht des Reichskanzlers vom 10. und 20. Juli 
mit den kaiserlichen Randbemerkungen. 
7 ) Aufzeichnung Bethmanns, 23. Mai. 
8 ) Aufzeichnung Zimmermanns, 15. Mai. Schön, 7. und 30. Mai.
	        
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