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Verhandlungen mit Frankreich
essen seien in Wirklichkeit nicht bedroht, dies auch öffentlich aus
spreche, und ebenso öffentlich sage, daß er eine Verständigung wünsche,
Dazu trage es jedenfalls nicht bei, wenn er die deutschen Forderungen
von vornherein als übertrieben darstelle 24 * ).
Es entsprach nicht ganz der Wahrheit, wenn Kiderlen dem Kaiser
die Sache so darstellte, als habe Lloyd George seine Rede gehalten,
obwohl sich Grey über unseren Verzicht auf marokkanische Gebiete
sehr befriedigt ausgesprochen habe. In Wahrheit war ja diese Erklärung
von Metternich erst zwei Tage später abgegeben worden. Auch dem
Kaiser gegenüber erklärte Kiderlen jetzt, wenn eine Einigung nicht
zustande komme, müsse man auf der strikten Einhaltung der Algesiras-
Akte beharren. Dieser Standpunkt sei rechtlich unangreifbar 25 ). Das
letztere mochte richtig sein, ob es aber politisch klug und überhaupt
durchführbar war, ist eine ganz andere Frage.
Zwischen Berlin und Paris begann nun ein unendliches, zum Teil
kleinliches Feilschen um einzelne Gebietstücke, wobei gelegentlich von
französischer Seite auch die Überlassung des Vorkaufsrechtes auf den
belgischen Kongo angeboten wurde. Auch warf Caillaux wieder den
alten Gedanken in die Debatte, ob man nicht eine Liquidation aller
kolonialen Streitfragen vornehmen könne, einschließlich Bagdadbahn,
türkische Schuld, Zulassung deutscher Werte an der Pariser Börse, neue
Abgrenzung der ozeanischen Besitzungen, weil im Rahmen eines wei
teren Abkommens Zugeständnisse an einzelnen Punkten leichter sein
würden. Kiderlen hielt es jedoch nicht für wünschenswert, darauf ein
zugehen; offenbar befürchtete er davon eine noch längere Verzöge
rung des Abschlusses, auf den der Kaiser immer wieder drängte 26 ). Ge
legentlich drohte Frankreich, auch ein französisches und ein englisches
Kriegsschiff würden nach Agadir entsandt werden, worauf Kiderlen sich
mit Zustimmung des Kaisers weigerte, die Verhandlungen weiter zu
führen, bevor diese Drohung zurückgenommen sei. Der Kaiser war
darüber so empört, daß er, ganz im Gegensatz zu seiner früheren Hal
tung, erwog, ob man nicht noch andere Punkte besetzen solle, wenn
Frankreich nicht bald ein annehmbares Angebot mache. Der Zwischen
fall wurde dadurch erledigt, daß Caillaux erklärte, er habe nur ge
sagt, Hitzköpfe könnten auf die Möglichkeit der Entsendung von Kriegs
schiffen kommen, nicht aber, daß die Regierung sie beabsichtige 27 ).
Die Verhandlungen wurden stark erschwert durch die Haltung der
französischen Presse, die die Sache so darstellte, als ziehe sich Deutsch-
24 ) Metternich, 24., 25. und 27. Juli. Kiderlen an Metternich, 25. und
26. Juli. Vgl. Siebert 430.
26 ) Kiderlen an Treutier, 26. Juli.
26 ) Schön, 27. Juli, 25. August, 5. September. Kiderlen an Treutier,
28. Juli.
27 ) Schön, 4. und 8. August. Jenisch an Kiderlen, 6. August. Kiderlen
an Schön, 8. August.