Neue Verhandlungen mit England
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stattfinden sollte. Er enthielt folgende Punkte: 1. Die englische Über
legenheit zur See muß erhalten bleiben; das deutsche Flottenprogramm
darf nicht vermehrt, sondern muß womöglich vermindert werden. 2. Eng
land wird Deutschlands koloniale Ausdehnung möglichst unterstützen.
3. England ist bereit, Vorschläge über ein Abkommen entgegenzu
nehmen, das seine Beteiligung an gegen Deutschland gerichteten aggres
siven Plänen oder Kombinationen ausschließt.
Auf demselben Wege wurde sofort geantwortet: Man begrüße
die Annäherung und sei mit dem Verhandlungsprogramm einverstan
den in der Voraussetzung, daß der für 1912 geplante Voranschlag als in
das bestehende deutsche Flottenprogramm eingeschlossen zu gelten
habe. Das Beste werde sein, wenn Sir Edward Grey den Kaiser per
sönlich aufsuchen wolle, was dieser sehr gern sehen würde 19 ).
Metternich wurde informiert und äußerte sofort Bedenken. Eng
land wolle offenbar durch Punkt 1 eine Flottennovelle ausschließen,
Deutschland aber wolle sie festhalten; ohne Verzicht auf die Novelle
werde nichts zu erreichen sein. Das Angebot in Punkt 3 sei wertlos,
solange das Wort „aggressiv“ darinstehe, weil man hier die Zwecke
der Entente, auch das Verhalten Englands 1909 und 1911 nicht als aggres
siv betrachte. Man müsse etwa sagen: ein Abkommen, das Englands
Beteiligung an gegen Deutschland gerichteten Plänen, Kombinationen
und Kriegen ausschließe.
Es sollte sich sehr bald zeigen, daß Metternich die Situation durch
aus richtig beurteilt hatte.
Durch Cassel wurde auf die deutsche Antwort hin zwar nicht das
Erscheinen Greys, aber des Kriegministers Haldane in Aussicht gestellt,
aber zugleich betont, das deutsche Flottenprogramm müsse so be
schaffen sein, daß es England nicht zu neuen Ausgaben nötige. Seien
diese erst bewilligt, dann werde nichts mehr bei den Verhandlungen
herauskommen. Im Privatgespräch sagte Sir Ernest Cassel einem
Vertrauensmann Bailins, ein politisches Abkommen könne Deutschland
alles gewähren, w r as Frankreich und Rußland hätten, aber nicht mehr.
Vor allen Dingen solle Haldane feststellen, ob in Berlin wirklich Ge
neigtheit zu einer freundschaftlichen Verhandlung bestehe 20 ). Nach
dem Vorangegangenen konnte das nur bedeuten, ob man dort zum Ver
zicht auf die Novelle bereit sein werde. Bethmann ließ erwidern, falls
England ein politisches Abkommen im Sinne der von Metternich emp
fohlenen Korrektur des Punktes 3 anzunehmen bereit sei, so werde
eine Verständigung über die Rüstungsausgaben wohl möglich sein.
Wollte er also auf die Flottennovelle verzichten? Hatte er dazu des
Kaisers Genehmigung? Ein Telegramm des Kanzlers an Metternich vom
19 ) Sir E. Cassels Schreiben, in Berlin vorgelegt und beantwortet 29. Ja
nuar. Metternichs Gutachten, 31. Januar. Vgl. Huldermann, Ballin, S. 248f.
20 ) Aufzeichnung Huldermanns (5. und 6. Februar) a. a. O. S. 252.