Full text: Von Bismarck zum Weltkriege

Haldane in Berlin 
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digt hatten. Ebenso sonderbar war es, daß der Staatssekretär v. Kider- 
len, der doch der eigentliche Leiter unserer auswärtigen Politik war, zu 
diesen Besprechungen gar nicht zugezogen wurde. 
Die erste Unterredung diente nur einer allgemeinen Orientierung, 
Die zweite drehte sich wesentlich um die Kolonial- und Marinefragen 
und führte zu dem Ergebnis, daß der Kaiser sich bereit erklärte, falls 
das politische Agreement zustandekomme und sobald es veröffentlicht 
sei, auf die Anforderung eines neuen Schiffes für 1912 zu verzichten 
und die drei geplanten Neubauten erst für 1913, 1916 und 1919 anzu 
fordern. Tirpitz war mit diesem Zugeständnis — das sehr gering war 
— einverstanden. In seinen Memoiren sagt er, er würde auf die ganze 
Novelle verzichtet haben, falls England wirklich ein bindendes politisches 
Abkommen angeboten hätte, habe dies aber nicht durchblicken lassen, 
da ja hierzu später immer noch Zeit gewesen sein würde. Er verkennt 
dabei jedoch, daß sehr häufig ein rechtzeitiges Angebot den Gang der 
Verhandlung entscheidend beeinflussen kann. Wenn er in dieser Be 
sprechung den Eindruck hatte, daß Haldane am liebsten nicht nur die 
Novelle ganz beseitigt, sondern auch das im alten Flottengesetz bereits 
festgelegte Programm vermindert gesehen hätte, so wird er darin gewiß 
recht haben. Die Frage war nur, wieweit dann auch England sich 
festgelegt haben würde, und hierüber konnte man keine Klarheit ge 
winnen, da man die Möglichkeit eines Verzichts auf die Novelle oder 
sogar einen Teil des früheren Gesetzes ja sofort von der Hand wies. 
In der letzten Unterredung versuchte Bethmann, der übrigens 
erst jetzt von der definitiven Gestaltung der Forderungen des Marine 
amts Kenntnis erhielt, mit Haldane zu einer klaren Formulierung des 
politischen Abkommens zu gelangen. Während der Kanzler das Ver 
sprechen wohlwollender Neutralität und möglichster Lokalisierung des 
Konfliktes für den Fall in Aussicht nahm, daß eine der Mächte in einen 
Krieg mit einer oder mehreren anderen verwickelt werden sollte, erklärte 
Haldane das für zu weitgehend. Er wollte höchstens versprechen, daß 
keine der vertragschließenden Mächte einen unprovozierten Angriff 
auf die andere machen und keiner Kombination beitreten werde, die 
einen Angriff gegen die andere beabsichtige, oder sich an Plänen und 
Unternehmungen beteiligen werde, die darauf abzielten. Das genügte je 
doch dem Kanzler nicht. Auch Haldane gab zu, daß diese Bindung zu 
schwach sei. Man behielt sich schließlich vor, nach einer neuen Formel 
zu suchen. Haldane regte sodann noch an, ob man nicht auf den Bau 
eines neuen Kriegsschiffes auch für 1913 verzichten könne, so daß erst 
1916 eine Vermehrung über das alte Bauprogramm hinaus erfolge; er 
meinte, bis dahin würden sich dann vielleicht die allgemeinen Bezie 
hungen so gebessert haben, daß überhaupt davon abgesehen werden 
könne. Er bezweifelte, ob das von Tirpitz bisher gezeigte Entgegen 
kommen (Verschiebung von 1912 auf 1913) dem Kabinett genügen 
werde. Der Kanzler war nicht in der Lage, ihm hierauf etwas Be
	        
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