Englische Bedenken
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Acht Tage später teilte Haldane dem Botschafter mit, die ganze
Frage sei jetzt im Kabinett besprochen worden. Dabei seien einige
kleine Schwierigkeiten in bezug auf die kolonialen Fragen hervorge
treten; z. B. habe man nicht beachtet, daß Holland ein Vorkaufsrecht
auf Timor besitze. Besonders aber habe eine genaue Nachprüfung der
Flottennovelle durch die Admifalität ergeben, daß darin nicht nur die
in Berlin besprochenen neuen Schlachtschiffe vorgesehen seien, sondern
zugleich eine viel größere Bereitschaft der Oesamtflotte und eine der
artige Erhöhung des Mannschaftsbestandes, daß der Schluß berechtigt
sei, es seien noch andere Neuformationen geplant. Auch übersteige
die Zahl der außerdem geforderten kleineren Fahrzeuge das Maß
dessen, was man in England erwartet habe. Jedenfalls werde Eng
land ebenfalls seinen Bauplan erheblich vermehren und neue große
Ausgaben in sein Budget einstellen müssen. Sei dies aber der Fall, so
würden so weitgehende Vereinbarungen mit Deutschland in anderen
Fragen, wie sie in Aussicht genommen seien, schwer durchzubringen
sein. Man diskutierte dann noch die politische Formel, wobei Haldane
die Bemerkung machte, es komme mehr auf die Herstellung des Ver
trauens als auf die einzelnen Worte an.
Orey fügte noch weitere Bedenken hinzu, nachdem er mit dem
Staatssekretär der Kolonien gesprochen hatte. Er meinte, ob man Zan
zibar und Pemba abtreten könne, werde nicht nur davon abhängen,
ob über die Bagdadbahn eine Verständigung erzielt werde, sondern
auch davon, ob man sich über die Flottenausgaben einigen könne. Er
halte es daher für besser, sich zunächst nur über den letzteren Punkt
und das allgemeine Neutralitätsabkommen zu unterhalten und die kolo
nialen Einzelheiten auf später zu verschieben 24 ).
Der Kaiser und der Reichskanzler sahen darin ein Abgehen Eng
lands von der in Berlin vereinbarten Basis, eine Desavouierung Haldanes.
Dieser habe weder an der Mannschaftsvermehrung durch die Novelle
noch an dem gleichzeitigen Abschluß eines bindenden Kolonialabkom
mens Anstoß genommen. Es kann wohl nicht bezweifelt werden, daß
sie den sehr vorsichtigen Äußerungen des Kriegsministers eine zu große
Tragweite beigelegt haben. Auch hatte Haldane die Novelle in Berlin
ja zum ersten Male zu Gesicht bekommen und nur schnell durchlesen
können. Die englischen Minister wurden noch vorsichtiger, als ihre
Sachverständigen ihnen sagten, die Novelle habe eine erheblich größere
Tragweite, als man nach den früheren allgemeinen Angaben habe an
nehmen können. Übrigens stellte Tirpitz in Abrede, daß die Mann
schaftsvermehrung für irgendwelche anderen Zwecke bestimmt sei, wie
sie aus der Novelle selbst klar hervorgingen 25 ).
2i ) Metternich, 22. und 24. Februar.
25 ) Randbemerkungen des Kaisers zu Metternichs Berichten. Aufzeichnung
Bethmanns, 28. Februar.