Gründe des Scheiterns
23*
355
englischen Ministeriums im Innern zu stärken, und habe ihm die
Suppe versalzen 35 ). Diese Ausführungen klingen bis ins einzelne an
die von Tirpitz in seinen Erinnerungen gebrauchten Redewendungen an
und zeigen damit deutlich die Quelle, aus der sie stammen.
Sachlich zutreffend waren sie nicht, da der Kaiser ursprünglich unzwei
felhaft an die Ehrlichkeit der Absichten Haldanes geglaubt hat. Von
Tirpitz wurde der Kaiser auch in der Auffassung bestärkt, daß die
Engländer ihm die Auswahl seiner Minister hätten vorschreiben wollen,
und daß der Botschafter seine Pflicht verletzt habe, indem er diese
Zumutung nicht scharf zurückgewiesen habe. Seit lange war der Admi
ral bemüht, die Berichterstattung und Wirksamkeit Metternichs mit Hilfe
entgegengesetzter Berichte des Marine-Attaches, die er direkt an den
Kaiser leitete, zu diskreditieren. Jetzt wurde die Entfernung Metternichs
beschlossen und bald darauf durchgeführt.
Überblickt man den Verlauf der Dinge, so kann man kaum daran
zweifeln, daß England greifbare Zugeständnisse in Kolonialfragen nur
zu machen bereit gewesen wäre, wenn eine Verständigung über den
Flottenbau erzielt worden wäre, die ihm Neuausgaben ersparte, d. h.
also bei vollem Verzicht auf die Novelle. Haldane hat dies in Berlin
zwar nicht ausdrücklich gesagt, aber doch deutlich durchblicken lassen;
der Kaiser und der Reichskanzler haben es nicht verstanden, obwohl
Graf Metternich ihnen von Anfang an den richtigen Kommentar zu dem
englischen Vorgehen geliefert hatte. Ein Neutralitätsabkommen gemäß
der unbestimmteren Formulierung Greys wäre wohl auch' ohne einen
Verzicht auf die Novelle möglich gewesen. Es wurde jedoch von
unserer Seite kein Wert darauf gelegt, weil es nicht genügende Sicher
heiten bieten könne. Hätten aber die von Bethmann vorgeschlagenen
Formulierungen diese Sicherheit in höherem Grade geboten? Die Frage,
ob ein Krieg uns aufgezwungen worden sei, oder ob wir unprovoziert
in ihn verwickelt worden seien, war so kompliziert, daß eine völlig
eindeutige Beantwortung von seiten aller Beteiligten beim Eintritt eines
Konfliktes nicht zu erwarten war. Es blieb also England stets voll
ständig unbenommen, das Vorhandensein dieser Voraussetzungen zu
bestreiten und damit seiner Neutralitätsverpflichtung zu entgehen. Wohl
aber läßt sich die Frage aufwerfen, ob nicht der Abschluß und die Ver
öffentlichung eines Abkommens auch in noch so dehnbarer Form eine
große Wirkung auf die öffentliche Meinung beider Völker geübt und
zur Anknüpfung eines engeren Verhältnis beigetragen haben würde.
Auch die Beschränkung auf den Ausgleich einzelner Interessengegen
sätze, die Bethmann nachträglich als richtigen Weg anerkannt hat, wäre
in Frage gekommen. Wenn man sieht, mit welcher Ängstlichkeit und
Sorge die Vertreter Rußlands und Frankreichs in London diese Ver
handlungen verfolgten, so wird man doch annehmen müssen, daß ihnen 36
36 ) Bemerkung des Kaisers zum englischen Memorandum vom 31. März.