Full text: Von Bismarck zum Weltkriege

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Rußland und der Balkanbund 
Albanien und Mazedonien neue Unruhen ausbrachen, wurden diese 
trotzdem von Montenegro aus geschürt. Die Türkei vermochte, durch 
innere Kämpfe geschwächt, der Unruhen nicht Herr zu werden und 
mußte im August den Albanern das Recht des Waffentragens und einen 
gewissen Grad von Autonomie zugestehen. Diese waren damit aber 
nicht zufrieden, sondern stellten neue, größere Forderungen auf. Mon- 
tengro griff trotz aller Abmahnungen der Mächte aktiv in diese Kämpfe 
ein, die Türkei mobilisierte, die drei verbündeten Balkanstaaten eben 
falls, und überall wuchs das Gefühl, daß ein großer Balkankrieg nicht 
mehr zu vermeiden sein werde. 
Während des ganzen Sommers 1912 stand die europäische Diplo 
matie unter dem Zeichen der Furcht vor den unberechenbaren Folgen ' 
eines Balkanbrandes. Niemand wünschte ihn, auch Rußland nicht, 
noch weniger Österreich. Zweifellos hat Rußland die Balkanstaaten 
bis zum letzten Augenblick vom Losschlagen zurückzuhalten versucht. 
War dies ein Zeichen für den friedlichen Charakter seiner Politik? Man 
wird das nicht unbedingt sagen können. Zunächst war Rußland selbst 
nicht kriegsbereit. Der deutsche Kaiser meinte, die Russen wollten erst 
dann das Signal zum Losbruch der Balkanstaaten geben, wenn sie 
selbst für alle Eventualitäten gerüstet seien 2 ). Auch war ihnen der 
Ausbruch eines Balkankrieges nicht erwünscht, solange über die zu 
künftige Verteilung des türkischen Landgebietes nicht volle Überein 
stimmung unter den Ententemächten herbeigeführt war. Davon aber 
war man noch weit entfernt. 
Bei weitem die größte Schwierigkeit machte das künftige Schicksal 
Konstantinopels und der Meerengen. Es war der russischen Regierung 
nicht unbekannt, daß Bulgarien nach dem Besitz von Konstantinopel 
strebte. Man war in Petersburg nicht geneigt, die für Rußland so 
wichtigen Meerengen in die Hand eines der kleineren Balkanstaaten 
kommen zu lassen. Da es aber andererseits sehr zweifelhaft schien, ob 
eine Besitzergreifung Konstantinopels durch Rußland selbst von den 
andern Mächten, insbesondere auch von den Verbündeten Frankreich 
und England, ohne weiteres zugelassen werden würde, und ob der Be 
sitz eines so weit über das Meer hinaus vorgeschobenen Postens nicht 
eher eine strategische Schwächung als eine Stärkung bedeuten würde, 
so wünschte man, daß ein Rest türkischer Herrschaft in Europa bestehen 
bleibe. Sowohl den Bulgaren wie den Griechen wurde aufs klarste 
gesagt, daß das Tal der Maritza nach russischer Ansicht die neue Grenze 
der Türkei werden und auch Adrianopel ihr verbleiben solle. Man war 
aber durchaus nicht sicher, ob Bulgarien nicht im Falle eines sieg 
reichen Krieges trotzdem Konstantinopel in seine Gewalt zu bringen 
und zu behaupten versuchen werde. Die Reise des Königs Ferdinand 
2 ) Randbemerkung des Kaisers zu einem Zeitungsausschnitt vom 1. Ok 
tober 1912.
	        
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