Full text: Von Bismarck zum Weltkriege

Haltung Frankreichs und Englands 
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nach Wien und Berlin im Juni wurde mit dem größten Argwohn be 
trachtet, weil man befürchtete, daß er sich die Zustimmung der Mittel 
mächte zu weitergehenden Plänen zu sichern versuchen werde. 
Das Unangenehmste war für Rußland, daß man nicht völlig ins 
Klare darüber kommen konnte, wie sich England und Frankreich zu 
einer Aufrollung der Meerengenfrage stellen würden. Man wußte, daß 
Greys Wunsch, falls der bisherige Zustand sich nicht aufrechterhalten 
lasse, eine vollständige Neutralisierung der Meerengen sei, während 
Rußland immer danach strebte, eine Regelung herbeizuführen, die das 
Schwarze Meer fremden Kriegsschiffen verschloß, und nur seinen eigenen 
die Aus- und Einfahrt freiließ. In Frankreich war zwar seit dem 
Februar mit Poincare ein Mann an die Spitze der auswärtigen Ange 
legenheiten gekommen, der das Bündnis mit Rußland so eng wie mög 
lich zu gestalten suchte, weil die Revanche der Grundgedanke seiner 
ganzen Politik war, und nur mit russischer Hilfe verwirklicht werden 
konnte. Aber gerade in der Merengenfrage hatte auch er allerlei 
Bedenken; außerdem war sehr viel französisches Kapital in der Türkei 
investiert, was auf die Haltung der französischen Regierung auch 
nicht ohne Einfluß bleiben konnte. 
Aber es kam noch ein weiteres Bedenken hinzu. Aus dem Balkan 
kriege konnte sehr leicht der russisch-österreichische und schließlich 
der allgemeine Weltkrieg hervorgehen, ln diesem Falle war man in 
Petersburg der Hilfe Frankreichs vollkommen sicher, sobald Deutschland 
in den Krieg eingriff. Poincare hat dies den Russen während des Som 
mers 1912 mehrmals auf das Bündigste versichert, ja sogar hinzu 
gefügt, die militärischen Autoritäten Frankreichs beurteilten die Aus 
sichten eines solchen Krieges günstig. Freilich sagte er auch, falls 
Rußland in Kämpfe auf dem Balkan mit Österreich-Ungarn ver 
wickelt werden sollte, ohne daß Deutschland eingreife, werde es die 
öffentliche Meinung Frankreichs niemals billigen, daß man sich aktiv 
an einem solchen Kampfe beteilige. Aber es ließ sich erwarten, daß 
Deutschland hineingezogen werden würde, wenn es zum Kampf komme, 
und daher hatte es mit dieser Bedingung nicht allzuviel auf sich. 
Anders aber stand es mit England. Würde England zur Hilfe 
leistung bereit sein, wenn es zu einem Kriege über Balkanfragen komme? 
Das war die bange Frage, die sich Poincare und Sassonow vorlegten, 
als der französische Minister im August in Petersburg war. Man be 
schloß bei Grey zu sondieren, konnte von ihm aber keine bestimmte 
Antwort erhalten. Er sagte stets, Englands Haltung werde von den 
Verhältnissen abhängen, und die Frage von Krieg und Frieden werde 
durch die öffentliche Meinung entschieden werden 3 ). Man mußte sich 
darauf gefaßt machen, daß die öffentliche Meinung Englands, die 
3 ) Bericht Sassonows, August 1912, Siebert 793. Berichte Iswolskis, 
12. September und 5. Dezember 1912. Livre Noir 1, 323 f. und 362 f.
	        
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