Full text: Von Bismarck zum Weltkriege

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Poincare in Petersburg 
Deutschland denke nicht daran, Rußland aus der Entente loszulösen; 
es halte aber trotz des Bestehens von Dreibund und Entente freundliche 
Beziehungen sowohl zu Rußland als zu England für möglich und 
wünschenswert. Es sei nicht gut, wenn Europa sich in zwei feindlichte 
Lager spalte. Schließlich kam man auf Österreich zu sprechen. Der 
Reichskanzler versicherte, in Wien wolle man nur den augenblicklichen 
Besitzstand auf dem Balkan erhalten und verfolge keine aggressiven 
Pläne. Als Sassonow meinte, Deutschland werde Österreich hoffentlich 
nicht zu solchen ermutigen, erwiderte Bethmann, das habe man 
von Berlin aus nie getan. Sassonow sagte darauf, solange Kaiser Franz 
Josef lebe, habe er auch keine Sorge. Über den Thronfolger sei er 
nicht so sicher, hoffe aber, daß auch er keine waghalsige Politik treiben 
werde. Bethmann bestärkte ihn in dieser Ansicht. Der Zar persönlich 
äußerte sich ziemlich scharf über Frankreich. 
Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß Sassonows Haltung auf 
dieser Zusammenkunft nicht ehrlich war. Er verschwieg den angeb 
lichen Freunden die Existenz des Balkanbundes. Er verschwieg ihnen 
auch, daß kurz vorher, am 16. Juli, eine Marinekonvention zwischen 
Rußland und Frankreich geschlossen war, die einen regelmäßigen Nach 
richtenaustausch zwischen beiden Marinestäben vorsah. Als später davon 
etwas in die Öffentlichkeit drang, und die Mittelmächte Anfragen stell 
ten, antwortete man in Paris ausweichend, während Sassonow die Ab 
machungen als völlig harmlos hinzustellen suchte 5 ). Der russische 
Minister hatte schon vor der Zusammenkunft Frankreich und England 
versichert, daß dort nichts geschehen werde, was der Entente Abbruch 
tun könne. Er wollte wohl nur herausbekommen, ob Deutschland 
etwas von Österreichs Absichten wisse, und wie es sich zu ihnen 
stellen werde. 
Bald darauf erschien Poincare in Petersburg. Man besprach hier 
die Möglichkeit, Italien noch näher an die Entente heranzuziehen und 
verabredete, die Balkanstaaten von einem Angriff zurückzuhalten. Jedoch’ 
war Poincare, wie er Iswolski später sagte, überzeugt, daß diese Be 
mühungen vergeblich sein würden. Er bezeichnete den serbisch-bulga 
rischen Vertrag, dessen vollen Wortlaut er erst jetzt erfahren zu 
haben scheint, ohne Umschweif als ein „Kriegsinstrument“. Wahr 
scheinlich hat Poincare hier bereits das Versprechen gegeben, durch 
Einführung der dreijährigen Dienstzeit die Stärke des französischen 
Heeres bis zur äußersten Grenze der Leistungsfähigkeit des Volkes zu 
vermehren. Jedenfalls drang er auf schnelleren Ausbau der Eisenbahn 
linien nach der russischen Westgrenze und gab' den Russen die Ver 
sicherung, daß ein mündliches Abkommen England verpflichte, den 
Franzosen bei einem deutschen Angriff auch zu Lande mit 100 000 Mann 
zu Hilfe zu kommen. Sie sollten nach Belgien entsandt werden, „um 
5 ) Pourtales, 7., 8., 9. August.
	        
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