Full text: Von Bismarck zum Weltkriege

Ziellosigkeit der österreichischen Politik 
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dadurch ihren großen Gewinn aufs Spiel zu setzen. Sie waren wütend, 
daß die Griechen ihnen in Saloniki zuvorgekommen waren und wollten 
diese wichtige Stadt ihnen durchaus nicht überlassen. Der Zar klagte 
über das traurige Schauspiel dieses Streites unter den Bundesgenossen. 
„Die Internationalisierung werde wohl eines Tages das Schicksal Kon 
stantinopels sein. Er wenigstens würde das für die beste Lösung 
halten. Daran, daß Rußland diese Stadt bekomme, liege ihm nichts 26 27 ).“ 
Man wollte sogar wissen, daß König Ferdinand der Türkei ein Bündnis 
angeboten habe; der Kaiser fand das gar nicht unwahrscheinlich und 
meinte, Österreich müsse der Dritte im Bunde werden; dann würden 
Serbien und Griechenland bald durch die Gewalt der Umstände zum 
Anschluß getrieben werden. Er befahl, in Konstantinopel auf die An 
nahme eines eventuellen bulgarischen Angebots zu dringen 37 ). Aber 
ein solches erfolgte gar nicht. Auch der Reichskanzler betonte in seiner 
Reichstagsrede vom 3. Dezember sehr entschieden, daß Deutschland 
an Österreichs Seite treten werde, wenn unser Bundesgenosse bei 
Geltendmachung seiner Interessen von dritter Seite angegriffen und 
damit in seiner Existenz bedroht werde. 
Man war in Berlin der Ansicht, daß Österreich das Mögliche an 
Nachgiebigkeit durch seinen Verzicht auf den Sandschäk geleistet habe. 
Man glaubte, es nicht zu weiteren Zugeständnissen drängen zu dürfen, 
sondern für seine übrigen Forderungen auf jede Gefahr hin eintretenj 
zu müssen, um keinen Zweifel an dem Wert des Bündnisses aufkommen 
zu lassen., Allerdings hätte man gern gewußt, ob Österreich selbst ent 
schlossen sei, es zur Durchsetzung seiner am 4. Dezember nochmals 
in der früheren Ausdehnung festgelegten Forderungen auf einen Krieg 
ankommen zu lassen. Unser Botschafter hatte den Eindruck, man sage 
nichts über seine Absichten, weil man sich selbst noch nicht darüber 
klar sei. Seufzend bemerkte Kiderlen: „Dazu wäre es aber Zeit.“ 
Berchtold, meinte Tschirschky, wolle nur mit Ehren und einem diplo 
matischen Erfolg aus der Sache heraus. Er müsse einen solchen haben, 
um die Südslawen innerhalb des eigenen Staates ruhig zu halten; denn 
die südslawische Frage enthülle sich mehr und mehr als eins der wich 
tigsten Zukunftsprobleme der Monarchie. Aber welche wirtschaftlichen 
und politischen Garantien man von Serbien fordern solle, wisse er 
nicht. Eine Neutralisierung Serbiens nach belgischem Muster, an sich 1 
die beste Lösung, werde nicht zu erreichen sein. Das beste Unterpfand, 
den Sandschak, habe Aehrenthäl leider aus der Hand gegeben. Die 
Loyalitätserklärung von 1909 sei das Papier nicht wert, worauf sie 
geschrieben sei. Ein Handelsvertrag werde nicht ausreichen, um die 
serbische Stimmung zu ändern, und doch dürfe Serbien nicht die Mög 
2e ) Pourtales, 27. November. 
27 ) Der Kaiser an das Auswärtige Amt, 1. Dezember, jenisch an das 
Auswärtige Amt, 2. Dezember.
	        
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