Waffenstillstand und Botschafterkonferenz
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deutschen Siege uns angreifen, jedenfalls eine militärische Niederwerfung
Frankreichs nicht ruhig mit ansehen werde. Gerieten wir mit Rußland
allein in Krieg — ein irrealer Fall — so werde das nicht unbedingt die
gleiche Folge haben 40 ).
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Da Österreich sich nicht zu kriegerischen Maßregeln drängen ließ,
Rußland im stillen schon entschlossen war, auf den serbischen Adria
hafen zu verzichten, England und Deutschland den Frieden erhalten
sehen wollten, so hielt Kiderlen Ende November den Zeitpunkt für
gekommen, der Spannung durch einen vertraulichen Meinungsaustausch
unter den Großmächten ein Ende zu machen und gab eine entsprechende
Anregung. Poincare nahm diese zum Anlaß, um seinen früheren Plan
einer Botschafterkonferenz in Paris wieder aufzunehmen, da ein tele
graphischer Meinungsaustausch zu zeitraubend und zu unsicher sei.
Die Dreibundmächte stimmten dem Vorschläge im Prinzip zu, verlangten
aber, daß die Konferenz nur unverbindliche Besprechungen abhalten
und in London tagen solle, da sie Poincare und Iswolski mißtrauten,
auch wohl von Greys persönlicher Leitung einen mäßigenden Einfluß
erhofften. Die Ententemächte gaben in diesem Punkte schließlich nach,
obwohl ungern, da sie Poincares persönliche Eitelkeit kannten und
wußten, daß er gern die Rolle des Vorsitzenden gespielt haben würde.
Vielleicht hätte man ihm das Vergnügen lassen sollen.
Da die Mittel der Türkei zum Widerstande erschöpft waren und
ihr von keiner Seite Hilfe kam, entschloß sie sich, am 3. Dezember
mit den Balkanstaaten (außer Griechenland) einen Waffenstillstand auf
Grund der Kriegslage zu schließen. Am 16. Dezember traten die
Gesandten der kriegführenden Staaten in London zu Friedensverhand
lungen zusammen. Am 17. wurde dort die Botschafterkonferenz der
Großmächte eröffnet. Die Friedensverhandlungen scheiterten Anfang
Januar daran, daß die Türkei die Übergabe der bisher von ihren
Feinden noch nicht eroberten Festungen Skutari, Jannina und Adria
nopel verweigerte. Die Autonomie Albaniens wurde im Prinzip zu
gestanden. Als die Großmächte auf Rußlands Drängen der Türkei
auch zur Abtretung Adrianopels rieten (17. Januar 1913), gab zwar
die türkische Regierung nach, wurde aber durch eine von Enver Bey
geleitete Revolution gestürzt. (23. Januar.) Da die neue Regierung
nur den westlich der Maritza gelegenen Teil Adrianopels abtreten
wollte, wurde der Stillstand gekündigt und der Krieg begann am
3. Februar von neuem.
Im März fielen Jannina und Adrianopel. Gleichzeitig drohten neue
Verwicklungen durch Rumäniens Kompensationsansprüche. Nachdem
Rußland das Verlangen Bulgariens, daß der Zar allein diesen Streit
40 ) Lichnowsky, 4. und 9. Dezember.