Zukunft der asiatischen Türkei
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in ein ähnliches Verhältnis zu England geraten werde wie Ägypten
seit 1881. Andere Meldungen besagten, daß Rußland sich vom Kau
kasus und Nordpersien her zum Eingreifen rüste. Schon damals
mahnte der Kaiser: „Vorbereitungen für die Aufteilung der Türkei, die
anscheinend näher bevorsteht, als man glaubt! . . . Aufgepaßt! daß
die Aufteilung nicht ohne uns gemacht wird!“ Er dachte damals an
Mesopotamien und die westlich anschließenden Gebiete bis Alexan-
drette und Mersina. Er faßte im Mai die Bildung einer ständigen
Mittelmeerdivision der deutschen Flotte ins Auge, die an der klein-
asiatisch-syrischen Küste stationiert bleiben sollte. Drei große Kriegs
schiffe erschienen zunächst in Mersina, was den Eindruck hervorrief,
Deutschland wolle betonen, daß es zum Schutz seiner Interessen in
Kleinasien entschlossen sei 2 ).
Aber man ging noch weiter. Um sich 1 für alle Fälle den Beistand
der Dreibundgenossen zu sichern, erörterte man mit ihnen die Möglich
keit einer künftigen Aufteilung Vorderasiens. Für Deutschland wurde
dabei das Zentralgebiet Kleinasiens, Aleppo und das nördliche Meso
potamien, sowie die Häfen Alexandrette, Mersina und Adana in Aus
sicht genommen. Österreich zeigte Neigung, die pamphilische Küste
zu beanspruchen; Graf Berchtold hatte aber die schwersten Beden
ken, weil Rußland durch die Verfügung über die Nordküste Klein-
asiens die Meerengen beherrschen und im Mittelmeer eine entschei
dende Stellung gewinnen würde. Italien hatte selbst Absichten auf
Adalia und wünschte sich schon jetzt die Küste und Konzessionen für
Eisenbahnbauten von hier aus ins Hinterland zu sichern. Angeblich
hatte auch die Entente in Rom schon Teilungsvorschläge gemacht.
Den Italienern und Österreichern wurden unsere Ansprüche auf Grund
einer Karte genau dargelegt und eine Verständigung über die pam
philische Küste wurde erwogen 3 ).
Unser Botschafter in Konstantinopel, Herr v. Wangenheim, warnte:
England werde uns kaum einen Hafen im östlichen Mittelmeer zu
gestehen; unsere wirtschaftlichen und kulturellen Interessen seien weit
verstreut über das ganze Gebiet; es werde einer intensiven Vorarbeit
bedürfen, bevor man zu Besitzergreifungen schreiten könne. Besser
sei es, wenn mehrere Mächte gemeinsam der Türkei aushülfen, ihr
Geld gäben, Militärs und Beamte hinschickten, die nicht ausschließ-
2 ) Aufzeichnung Zimmermanns, 16. Januar 1913. Bethmann an Lich-
nowsky, 27. Januar. Miquel 6. April. Bemerkungen des Kaisers zu einem
Bericht des Generalkonsuls in Tiflis vom 30. April. Immediatbericht v. Terpitz’
15. Mai, mit Bemerkungen des Kaisers. Wangenheim, 16. und 21. Mai.
3 ) Tschirschky an Jagow, 18. Mai. Erlaß nach Rom, 22. Mai. Flotow,
1- Juni. Aufzeichnung Jagows, 6. Juli. Jagow an Tschirschky, 6. Juli.
Tschirschky, 9. Juli. Obgleich strengstes Geheimnis ausbedungen war, erfuhr
man in Paris sofort von diesen Verhandlungen, offenbar durch Italien.
S. Rapport 375.