Full text: Von Bismarck zum Weltkriege

General Liman in Konstantinopel 
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Jedes Jahr sei ein Gewinn. „Aber wie lange lassen bei der Schwäche 
und Torheit der Zentralregierung die Ereignisse sich aufhalten?“ Er 
habe immer geglaubt, daß die Verflechtung der Türkei in europäische 
Händel eine Ursache ihrer Schwäche sei. Daher halte er es auch für 
falsch, daß sie durchaus Adrianopel behalten wolle. Er habe nie einsehen 
können, daß eine Stärkung der Türkei in Europa im Interesse des 
Dreibundes liegen solle. Jetzt habe die Türkei keine aktive Kraft 
mehr. Grüne Fahne, Panislamismus, alles, .was Marschall immer ge 
predigt, habe sich als bedeutungslos erwiesen. Die Türkei habe für 
uns insofern Interesse, als sie so lange fortbestehen müsse, „bis wir 
uns in unseren dortigen Arbeitszonen weiter konsolidieren und für 
die Annexion fertig werden. Diesen Moment möchte ich so weit wie 
möglich hinausschieben“ 7 ). Für die Reformen in Armenien arbeiteten 
der russische und der deutsche Botschafter in Konstantinopel einen 
Plan aus, den Bethmann und Sassonow bei ihrer Zusammenkunft gut 
hießen. Das Abkommen wurde am 5. November perfekt. 
Zweifellos wünschte Deutschland die Aufteilung der asiatischen 
Türkei weder für den Augenblick noch für eine absehbare Zukunft. 
Man hegte keine Eroberungsabsichten, wollte sich aber auch’ nicht 
ganz beiseite drängen lassen, falls andere die Aufteilung herbeiführten. 
Die Anmeldung der deutschen Ansprüche für diesen Fall hat bei den 
Ententemächten, namentlich bei England, offenbar den Wunsch gestärkt, 
die Türkei möglichst lange zu erhalten. 
In unmittelbarer Verbindung mit der kleinasiatischen stand die 
Meerengenfrage. Man wußte in Berlin natürlich sehr genau, daß 
Rußland nach wie vor auf die tatsächliche Beherrschung der Meer 
engen und Schließung des Schwarzen Meeres hinarbeite und die 
Türkei nur solange erhalten und unterstützen werde, als sie sich 
dem russischen Einfluß unterwerfe. Es war daher nicht unbedenklich, 
daß Deutschland auf die Bitte des Sultans nicht nur militärische Instruk 
teure zur Ausbildung der türkischen Armee entsandte — wie die Flotte ' 
durch englische Marineoffiziere reorganisiert werden sollte —, sondern 
auch zugab, daß ein deutscher General, Liman v. Sanders, an die Spitze 
des türkischen Armeekorps in Konstantinopel gestellt wurde. Auch die 
drei Konstantinopel benachbarten Divisionen und eine ganze Anzahl 
von Regimentern in allen Reichsteilen sollten deutschen Führern unter 
stellt, die wichtigsten Abteilungen im Generalstab und die Militär 
schulen mit deutschen Leitern besetzt werden. General Liman erhielt 
sehr weitgehende Vollmachten und entsprechende Strafgewalt (15. No 
vember) 8 ). 
Den Russen erschien dies im hohen Grade gefährlich. Eine wirk 
lich starke und gute türkische Armee wünschten sie überhaupt nicht, 
7 ) Jagow an Wangenheim, 28. Juli. 
8 ) Vgl. hierzu Siebert 639 f. Deutsches Weißbuch 159 f.
	        
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