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Vertrag mit England über Mittelafrika
Zunächst stand dabei im Vordergründe die Zukunft der portu
giesischen Kolonien in Afrika. Die darüber 1898 geschlossene Verein
barung bestand zwar noch; aber die damals vollzogene Abgrenzung
der Interessensphären befriedigte auf beiden Seiten nicht mehr ganz.
Außerdem war man sich in Berlin darüber klar geworden, daß der Ver
trag in absehbarer Zeit keine praktische Wirkung haben werde, wenn
man den darin allein vorgesehenen Fall der freiwilligen Verpfändung
dieser Kolonien durch Portugal abwarten wollte. Der deutsche Ge
sandte in Lissabon, Rosen, machte energisch darauf aufmerksam, daß
man Portugals finanzielle Notlage nicht überschätzen dürfe, und daß
dort noch andere Einnahmequellen vorhanden seien, die zur Sicherung
von Anleihen dienen könnten als die Erträge dieser Kolonien 13 ).
Anfang 1913 war man darüber einig geworden, die Grenzen in
Mozambique etwas zu Gunsten Englands, in Angola zu Gunsten
Deutschlands zu verschieben, und den Fall für das Eintreten der
Besitzergreifung anders zu formulieren. Insbesondere war England
bereit, seinen 1899 erneuerten Schutzvertrag mit Portugal für die
afrikanischen Besitzungen in dem Augenblick als erloschen zu be
trachten, wenn diese sich etwa selbst vom Mutterlande loslösen sollten.
Deutschland begehrte außerdem, daß England versprechen solle, Por
tugal keine Hilfe zu leisten, wenn etwa Mißwirtschaft in dessen Kolo
nien andere Mächte zum Eingreifen zwinge. Grey erklärte sich nach
einigem Zögern bereit, in einem besonderen Zusatzverträge auch die
letztere Erklärung zwar nicht ausdrücklich, aber doch implicite zu
geben. Ferner einigte man sich dahin, jeder Einmischung einer dritten
Macht vereint entgegenzutreten, „sei es, daß diese Einmischung erfolgt
auf dem Wege einer Anleihe an Portugal gegen Verpfändung der
Einkünfte dieser Provinzen“, oder durch direkten Erwerb eines Teils
dieser Gebiete oder auf andere Weise. Deutschland erklärte sich für
uninteressiert an dem Schicksal der Insel Timor, England an dem der
Inseln San Thome und Principe. Ferner sollte darin noch gesagt werden,
daß, sobald ein Stück einer der beiden großen Kolonien in den Besitz
Englands oder Deutschlands gelange, der andere Teil das Recht haben
solle, den ihm vorbehaltenen Anteil dieser Kolonie zu besetzen. Grey
machte dabei allerdings den Vorbehalt, daß der neue Vertrag vom
Parlament genehmigt werden und veröffentlicht werden müsse; auch
wollte er den sogenannten Windsorvertrag von 1899 und das ältere
deutsch-englische Abkommen von 1898 gleichzeitig der Öffentlichkeit
übergeben. Hiergegen hatte die deutsche Regierung Bedenken. Man
vereinbarte schließlich, daß der Vertrag vorläufig nur paraphiert,
d. h. von den Unterhändlern mit dem Anfangsbuchstaben ihres Namens
gezeichnet werden, die Vorlage an das Parlament und die Veröffent
lichung aber erst später nach erfolgter Einigung über den Zeitpunkt
ls ) Rosen, 20. Januar 1913.