Full text: Von Bismarck zum Weltkriege

Politik Englands 
26* 
403 
war, daß man in Deutschland keinen Krieg wünschte, auch wenn man 
auf Englands Neutralität hätte zählen können, vielmehr auf einen Angriff 
von der anderen Seite gefaßt sein zu müssen glaubte, beweist che Hal 
tung unserer Politik in den vorangegangenen Jahren und jede Äußerung 
unserer verantwortlichen Staatsmänner. Aber daß man in England diese 
Befürchtung hegte, daß man dort den Einfluß der Militärs und der 
mehr lärmenden als wirklich kriegsbegierigen alldeutschen Kreise weit 
überschätzte, daß man in unberechtigter Übertragung eigener Er 
fahrungen auf andere Verhältnisse glaubte, Deutschland veranlasse 
durch die Steigerung seiner Rüstungen zu Lande das allgemeine Wett 
rüsten, wie es die große britische Flottenvermehrung tatsächlich durch 
die Verstärkung der eigenen Seerüstung veranlaßt hatte, — dies alles 
ist ebenfalls Tatsache, und wenn man diese Motive nicht in Rechnung 
stellt, kann man die englische Politik nicht richtig beurteilen. 
Noch während des ganzen Jahres 1913 und des Frühlings 1914 
wurden von englischer Seite wiederholt indirekte Versuche gemacht, zu 
einem Flottenabkommen zu gelangen. Die Rede von Tirpitz im Reichstag 
Anfang Februar 1913, worin er ein Verhältnis der Großkampfschiffe 
von 10:16 als für Deutschland annehmbar bezeichnete, schien eine 
geeignete Grundlage zu bieten. Dagegen lehnte Deutschland den von 
Churchill mit Feuereifer vertretenen Gedanken eines Feierjahres im 
Flottenbau als unpraktisch ab (10. Februar 1914); er würde auf beiden 
Seiten eine völlige Lahmlegung der Werften und große Arbeiter 
schwierigkeiten zur Folge gehabt haben. Da Vorschläge über eine 
Festlegung der Verhältniszahl im obigen Sinne, die man den Eng 
ländern nahelegte, unterblieben, so gerieten diese Verhandlungen ins 
Stocken. 
England glaubte sich also Deutschland nur vorsichtig und zögernd 
nähern zu können, ohne die Fühlung mit den bisherigen Freunden 
zu verlieren. Lichnowsky hat immer wieder noch im Sommer 1914 
betont, daß England bei einem Kriege zwischen uns und Frankreich 
jedenfalls auf der französischen Seite stehen werde. Man hat ihm in 
Berlin nicht ganz geglaubt. „Ich möchte glauben,“ schrieb Jagow 
am 26. Februar 1914 an den Botschafter, „Sie sehen manchmal etwas 
zu schwarz, auch wenn Sie der Ansicht Ausdruck verleihen, im Kriegs 
fälle werde England auf alle Fälle an der Seite Frankreichs gegen 
uns zu finden sein. Wir haben doch schließlich nicht umsonst unsere 
Flotte gebaut, und man wird sich meiner Überzeugung nach im 
gegebenen Falle in England doch sehr ernstlich die Frage vorlegen, 
ob es denn ganz so einfach und ungefährlich ist, den Schützengel 
Frankreichs zu spielen.“ 
Die Vorstellung, daßi man doch wohl bei einem großen Kriege 
auf Englands Neutralität hoffen könne, umsomehr, da man sich jetzt 
über so wichtige koloniale Fragen zu einigen im Begriffe war, und 
die Hoffnung, sich auch über den nahen Orient noch mit England
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.