Full text: Von Bismarck zum Weltkriege

Gesamtlage 
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sammenarbeit mit England bilden .werde. Man durfte erwarten, daß 
die Erbitterung des Volkes über die dreijährige Dienstzeit in Frank 
reich in einiger Zeit zu deren Abschaffung und damit vielleicht zu einer 
Verminderung der Rüstungen überhaupt führen werde. In Rußland 
konnten leicht innere Bewegungen von unabsehbarer Tragweite aus 
brechen, da der ganze Boden des Zarenreiches schon unterwühlt war, 
und dessen Aktionsfähigkeit auf längere Zeit lahm legen. Kaiser 
Franz Joseph konnte jeden Tag sterben, und man konnte nicht wissen, 
was dann aus Österreich-Ungarn werden und ob nicht bald eine völlig 
veränderte Lage im Südosten uns ganz andere Chancen bieten würde. 
Gefahrvoller und drückender, als sie war, konnte unsere Lage kaum 
werden, wohl aber besser. So konnte die deutsche Politik nichts 
anderes tun, als lavieren und abwarten. Man hat dabei nicht immer 
vorsichtig genug operiert. Die Sendung des Generals v. Liman nach 
Konstantinopel bot wenig Aussicht auf wirklichen Gewinn, da auf die 
stark geschwächte Türkei doch keine großen Hoffnungen zu setzen 
waren. Sie reizte aber die Russen und erweckte in ihnen die falsche 
Vorstellung, als wollten wir die Meerenge gegen sie verteidigen, was 
doch niemals die Absicht der deutschen Politik war. Deren Streben ging 
vielmehr lediglich dahin, überall auszugleichen und zu beruhigen. Als 
der Kaiser im Frühjahr 1914 gebeten wurde, ob er nicht auf die schein 
bar kriegslustigen Griechen beruhigend wirken könne, schrieb er dazu: 
„Habe ich auch! Das ist ja meine einzige Beschäftigung, wo ich auch 1 
hinkomme 27 ).“ Der Reichskanzler und unsere gesamte Diplomatie 
unterstützte ihn in diesen Bemühungen, und wenn sich im Sommer 
1914 eine Unruhe bei ihnen zeigte, so entsprang sie lediglich der Be 
fürchtung, daß irgendein unvorhergesehenes Ereignis ihre Mühen ver 
eiteln und den Frieden stören könne. 
27 ) Bemerkung zu einem Bericht Waldhausens vom 30. März 1914.
	        
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