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Österrreich und Serbien
könne es nur nützlich sein, wenn man Bulgarien gewönne, schon um
den Rumänen zu zeigen, daß man nicht auf sie allein angewiesen sei;
sodann müsse man ein Bündnis zwischen Bulgarien und der Türkei
anstreben. Deutschland möge diese Politik unterstützen und sich dessen
bewußt werden, daß die feindlichen Machinationen sich nicht nur
gegen Österreich, sondern nicht zuletzt auch gegen das Deutsche Reich 1
richteten. Rußlands Feindseligkeit gegen den Donaustaat, der keine
Weltpolitik treibe, entspringe letzten Endes dem Wunsche, Deutsch
lands Widerstand gegen die eigenen Ziele, namentlich die Herrschaft
über die Meerengen, unmöglich zu machen.
Diese Ausführungen bewegten sich im Allgemeinen in den uns
bekannten Bahnen. Am merkwürdigsten war der Versuch, die Sache
so darzustellen, als sei Deutschland der eigentliche Gegner Rußlands,
und als habe Österreich nur darunter zu leiden, daß es unser Bundes
genosse sei, während es doch in Wahrheit umgekehrt lag. Der Ge
danke an einen Präventivkrieg wurde nirgends auch nur angedeutet;
vielmehr war der leitende Grundgedanke die Lage des Dreibundes für
den Fall eines von Rußland angezettelten Krieges zu verbessern.
1 Noch bevor diese Denkschrift abgeschickt war, fand das Attentat
von Serajewo statt. Man war in Wien sofort davon überzeugt, daß die
großserbische Propaganda und ihre Begünstigung durch die serbische
Regierung an der Freveltat schuld sei. Man fügte der Denkschrift noch
einige Sätze hinzu, die besagten, die Unversöhnlichkeit Serbiens sei
jetzt von neuem bewiesen. „Um so gebieterischer tritt an die Monarchie
die Notwendigkeit heran, mit entschlossener Hand die Fäden zu zer
reißen, die ihre Gegner zu einem Netze über ihrem Haupte verdichten
wollen.“ In einem besonderen Begleitbrief gab Kaiser Franz Josef
nochmals seinem Bedauern über die Haltung Rumäniens Ausdruck.
Man müsse dort zur Einsicht gebracht werden, daß die Freunde Ser
biens nicht zugleich Österreichs Freunde sein könnten. Ferner hieß
es: „Das Bestreben meiner Regierung muß in Hinkunft auf die Isolie- >
rung und Verkleinerung Serbiens gerichtet sein.“ Auch die Bildung
eines neuen Balkanbundes zwischen Bulgarien, der Türkei, Rumänien
und Griechenland unter dem Patronat des Dreibundes als Damm gegen
die slawische Hochflut sei nur möglich, wenn Serbien „als politischer
Machtfaktor am Balkan ausgeschaltet wird“. Graf Hoyos, der Über
bringer des Handschreibens, sprach direkt davon, daß eine Aufteilung
Serbiens nötig sei. ln ähnlichem Sinne hatte sich schon vorher Graf
Berchtold unserem Botschafter gegenüber geäußert. Auch sonst hörte
dieser sagen, es müsse gründlich mit Serbien abgerechnet werden.
Tschirschky warnte dringend vor übereilten Schritten.
Aus allen diesen Mitteilungen ging klar hervor, daß man in Wien
sehr weitgehende Absichten verfolgte, und auch vor einer Veränderung
des territorialen Besitzstandes auf der Balkanhalbinsel nicht zurück
schreckte. Man sagte zwar nachträglich, Graf Hoyos habe nur seine