Russische Mobilmachung
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österreichische Vertreter sich auf Erläuterungen beschränken, und keine
Abänderungen zugestehen. Vielmehr erklärte der Minister, durch die
Kriegserklärung sei der ganze Notenwechsel überholt, und man werde
für den Friedensschluß ganz neue Bedingungen aufstellen müssen.
Immerhin war auf diese Art wenigstens eine direkte Konversation
zwischen Wien und Petersburg eingeleitet worden. Auch nahm der
österreichische Ministerrat am 31. Juli den von Deutschland befür
worteten englischen Vermittlungsvorschlag unter der Voraussetzung
an, daß Rußland seine Kriegsvorbereitungen einstelle und Österreichs
Vorgehen gegen Serbien nicht hindere. Jedoch beschloß man gleichzeitig,
in den bevorstehenden Verhandlungen von den Forderungen des 23. Juli
nichts abzulassen. Es muß daher fraglich erscheinen, ob ein positives
Ergebnis dabei hätte erzielt werden können. Die Probe ist nicht ge
macht worden; denn jede weitere Diskussion der verschiedenen Ver-
mittiungsformeln, die wir hier nicht genauer zu besprechen brauchen,
wurde abgeschnitten durch den Entschluß des Zaren, jetzt seine ge- '
samte Armee zu mobilisieren.
Daß dieser Schritt entscheidend gewesen ist, daß er den Krieg erst
unvermeidlich gemacht hat, liegt klar zu Tage. Schon der französisch
russischen Militärkonvention lag die Auffassung zu Grunde, daß die
Mobilmachung den Krieg automatisch zur Folge habe. Ein im Jahre
1912 erlassener russischer geheimer Armeebefehl, den man in Berlin
kannte, hatte ausdrücklich konstatiert, daß der Befehl zur Mobilmachung
gleichzeitig als Befehl zur Eröffnung der Feindseligkeiten zu betrachten
sei. Allerdings war diese Anordnung wieder aufgehoben worden; aber
auch ohne einen solchen ausdrücklichen Befehl, lag es in der Natur der
Sache, daß die Gesamtmohilmachung den Krieg unvermeidlich nach'
sich ziehen mußte, da sie zu Gegenmaßregeln zwang, und moderne
Millionenheere nicht längere Zeit bewaffnet an den Grenzen stehen
bleiben konnten, ohne in Kampf zu geraten, und ohne die gesamten
bis ins Einzelne sorgfältig durchdachten Aufmarschpläne umzuwerfen.
Bei der großen Bedeutung dieses Ereignisses fragt man natürlich,
wie es dazu gekommen ist. Wenn sich darauf auch noch nicht ganz
sicher antworten läßt, so dürften doch die wichtigsten Daten fest
stehen 2 ). Nachdem bereits am 25. Juli die „Vormobilisierung“ ange
ordnet war, wurde in den folgenden Tagen hauptsächlich der Plan einer
Teilmobilisierung der südlichen Bezirke Kiew, Odessa, Moskau und
Kasan gegen Österreich-Ungarn erwogen, zunächst nur für den Fall,
daß es Serbien angreife. Immer wieder wurde versichert, daß man an
Maßregeln gegen Deutschland nicht denke. Während aber der Zar
und Sassonow diesen Plan offenbar ernstlich ins Auge faßten, war
2 ) Besonders wichtig ist das Buch des Generals Dobrorolski, Die
Mobilmachung der Russischen Armee 1914. (Berlin 1922.)