Full text: Von Bismarck zum Weltkriege

Die belgische Frage 
28 Brandenburg, Von Bismarck zum Weltkrieg 
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entweder sofort und schnell einen klaren Zustand zu schaffen oder 
eine überaus gefährliche Verschlechterung der Situation herbeizuführen. 
Noch war nicht entschieden, wie sich das Verhältnis zu England 
gestalten werde. Darüber, daß die englische Regierung, wenn es zum 
Kriege komme, auf die Seite unseres Feindes treten werde, konnte man 
in Berlin jetzt eigentlich nicht mehr im Zweifel sein. Die Versuche, 
durch Englands Vermittlung die Neutralität Frankreichs sicherzustellen, 
oder durch das Versprechen, von Frankreich in keinem Fall Gebiets 
abtretungen zu fordern, die Neutralität Großbritanniens zu gewinnen, 
waren gescheitert. An die Erhaltung des Friedens auf dem Kontinent 
war nicht mehr zu denken. Also blieb höchstens noch' die Möglich 
keit, daß die Politik der englischen Regierung nicht die Billigung des 
Parlamentes finden werde. 
Aber Grey hatte diese Möglichkeit längst aufs genaueste erwogen 
und seine Maßregeln getroffen. Da es zweifelhaft erschien, ob die 
Mehrheit das Eintreten für Serbien, Rußland und Frankreich billigen 
werde, wenn ein englisches Interesse nicht berührt war, galt es, dem 
englischen Volke deutlich zu zeigen, daß auch sein eigenes Interesse 
gefährdet und die Ehre Englands engagiert sei. Dazu bot die bel 
gische Frage die bequemste Möglichkeit. 
Es war längst ein offenes Geheimnis, daß der deutsche General 
stab für den Fall eines Krieges gegen Frankreich den Marsch durch 
Belgien ins Auge gefaßt habe. In der Tat bildete dieser einen wesent 
lichen Teil des Schlieffenschen Planes. Bei der starken Befestigung 
der verhältnismäßig kurzen deutsch-französischen Grenze schien darin 
die einzige Möglichkeit zu liegen, schnelle und entscheidende Schläge 
gegen Frankreich zu führen. Es ist unfruchtbar, nachträglich darüber 
zu grübeln, ob diese Voraussetzung richtig war, ob nicht vielleicht 
ein schneller energischer Angriff die französischen Festungen ebenso 
wie die belgischen hätte niederzwingen können, ob es nicht vielleicht 
klüger gewesen wäre, die größte Wucht der Offensive nach dem 
Osten zu verlegen und sich Frankreich gegenüber auf die Verteidigung 
zu beschränken, wie es im letzten Augenblick noch einmal flüchtig 
erwogen wurde. Der Plan war nun einmal als Grundlage der Opera 
tionen genehmigt und lag allen Dispositionen zugrunde. 
Auch das deutsche Auswärtige Amt kann sich darüber schon 
längere Zeit vor dem Ausbruch des Krieges kaum im Zweifel befunden 
haben. Um so erstaunlicher ist es, daß man nicht längst genaue Vor 
bereitungen für die Einleitung und Rechtfertigung dieses ungewöhn 
lichen und alarmierenden Schrittes getan hatte. War man über die 
Vorgeschichte und Tragweite der belgischen Neutralität nicht genügend 
orientiert oder glaubte man Gründe zu haben, von dem, was man wußte, 
keinen Gebrauch zu machen? Wir können diese Frage bisher nicht 
beantworten.
	        
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