Ganz Schleswig königlich
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es ohne Wirrungen und Gewissensnöte ab: die ehemaligen Gottorfer Untertanen
fühlten gegenüber einem Herrscher, den sie nie gesehen hatten, und einer Regierung,
welche als Hauptgeschäft die Aussaugung des Landes und die Bereicherung der
höheren Beamten betrieben hatte, keine Gewissensverpflichtung mehr. Die ge—
meinsame Regierung über Prälaten, Ritterschaft und Städte wurde für Schles-
wig aufgehoben und funktionierte nur noch in Hol stein weiter.
Das Jahr 1721 stellt sowohl für die politische wie für die Kirchengeschichte,
insonderheit die Gestaltung des Kirchenregiments einen wichtigen Wendepunkt dar.
Das eine Herzogtum ist nun endlich wieder nach 170jähriger Zerrissenheit unter
einer Herrschaft geeinigt; es behält fortan in dem schleswigschen Obergericht
(mit Oberkonsistorialgericht) eine einheitliche Verwaltungsbehörde. Holstein frei—
lich bleibt noch ein halbes Säkulum hindurch zwiegeteilt: der Königlichen Regierung
in Glückstadt steht die Fürstliche in Kiel gegenüber. Aber Gottorp spielt innen—
politisch keine Rolle mehr: es ist zu einem Zwergfürstentum geworden. Am Hori—
zont der Geschichte taucht schon die völlige Vereinigung der beiden Herzogtümer
unter einer Herrscherhand und damit auch die eine Landeskirche auf.
Noch bedeutungsvoller ist das Jahr 1721 jedoch insofern, als es das endliche
Ende der langen Kriegsperiode darstellt, die unser Land hundert Jahre lang tief
heruntergebracht hatte: jetzt beginnt eine wieder fast hundertjährige Pe—
riode des Friedens und damit neuen wirtschaftlichen Aufschwungs, wäh—
rend welcher auch das kirchliche Leben ungestöͤrt nach eigenen Gesetzen sich entwickeln
kann.
2. Das Gottorfer Kirchenregiment.
Daß die politischen Wirren, denen das Gottorfer Land in der ganzen Zeit von
16095 bis 1720 ausgesetzt war, ein fruchtbares Kirchenregiment stark behinderten,
versteht sich von selbst. Jedoch ist darüber hinaus sowohl Herzog Friedrich wie
dem Administrator der Vorwurf zu machen, daß sie von dem damaligen Ideal
guter Landesväter weit entfernt waren und sich um das Seelenheil ihrer Unter—
tanen wenig kümmerten. Beweis dafür ist schon die Tatsache, daß trotz aller Be—
schwerden der Gemeinde und der Kollegen das Kieler Hauptpastorat immer wieder
zur Besoldung einer theologischen Professur verwandt wurde. Daß 1713 das
Böeler Pastorat an der Hamburger Börse öffentlich zur Auktion gestellt und dem
Meistbietenden „verpachtet““ wurde“), ist doch wohl nur als eine Ausnahme zu
betrachten. Das Gegeneinander der dänischen Besetzung und des von Hamburg
aus „regierenden“ Administrators schuf im Gottorfschen Holstein hier und da höchst
unerquickliche Verhältnisse zwischen herzoglich und königlich gesinnten Pastoren ).
Daß die Generalsuperintendenten sich der pietistischen Richtung zuneigten, wird man
als ein kirchliches Plus betrachten dürfen, insofern die Geistlichen, welche sie zur
Anstellung brachten, durchgängig von besserer Qualität werden gewesen sein. Im
übrigen haben diese Männer, wie es scheint, auf die Regierung nicht viel Einfluß
gehabt; von dem regen Eifer für kirchliche Reformen und gute Ordnung, wie er
auf königlichem Gebiet von GS Schwartz und seinen Pröpsten entwickelt wurde,
mark gehandelt habe, ist kirchengesscchichtlich ohne wesentliches Interesse. Bemerkens—
werte nenere Behandlungen dieser Frage haben Kr. Erslev (Frederit 1V. og Slesvig,
1901) und C. A. Vol quardsen in Z 33 (1904) S. 286 -324 geliefert.
5) Vgl. Jensen J, 55.
6) Z. B. in Oldenburg. Vygl. dazu die interessanten Mitteilungen Hollensteiners in seiner
Oldenburgischen Chronik Aus vergangenen Tagen“ (1882).