Pfarrwahlen
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jedes in einer den Wählern entsprechenden Zahl Zettel mit dem Namen eines
der Prediger enthält. Dem herantretenden Wähler werden die drei Zettel gereicht;
zwei soll er, „damit solche nicht hernachmals, als Wahrzeichen, auf wem er ge—
stimmet, wider ihm gebraucht werden können, vor aller Augen zerreißen, den
Namen aber dessen, dem er sein Votum gibt, in das vierte Becken werfen“, aus
dem dann die Zahl der Stimmen festgestellt wird. Falls einer nicht lesen kann,
soll er dem Protokollführer „sein VWotum im Vertrauen eröffnen“ und dieser in
der angegebenen Weise mit den Zetteln verfahren. Es wird in der Verfügung
eigens gesagt, daß dies Verfahren auch „in einigen andern Gegenden in Usance“ sei.
Wir sehen, wie ernst es dem Kirchenregiment darum zu tun war, das höchste
und schönste Recht des „Zuhörers“ da, wo es bestand, zu schützen.
Uebersehen wir das Ganze, so ergibt sich, daß — verglichen mit anderen Gegen⸗
den Deutschlands — in unserm Lande das Maß der kirchlichen Gemeinderechte
gar nicht so gering war. Nur müssen wir — um das noch einmal zu betonen —
uns hüten, in diesen Rechten eine durch die Reformation herbeigeführte Neuerung
oder gar mit A. Michelsen die Auswirkung eines „protestantischen“ Prinzips zu
sehen. Diese Rechte und Freiheiten waren Reste und Nachwirkungen mittelalter
licher Gemeindefreiheit, durch welche der Gesamtcharakter der Kinche als obrig
keitlich geleiteter Anstaltskirche nicht aufgehoben wird. Wenn später durch Pietis
mus und Rationalismus die geistliche und geistige Freiheit der „Zuhörer!“ grösier
geworden ist — die Gemeinderechte und -freiheiten sind im weiteren Verlauf der
Geschichte zugunsten einer immer weiteren Bürokratisierung und staatlichen Gleich—
macherei eher beschränkt als erweitert worden.