Staatliche Organisation des Landes
ihren in Jahrhunderten zusammengerafften weiten Grundbesitz und ihre aus
uinterworfenen Slaven und entrechteten deutschen Bauern zusammengewachsenen
„Untertanen“. In unserm Lande, wo mit den großen Städten auch der reiche
Bürgerstand fehlte, waren sie recht eigentlich die Inhaber der Geldmacht, des
Kapitals. Schon daraus erklärt sich, daß die nur allznoft in Geldnöten befind—
lichen Landesherren auf sie die zarteste Rücksicht nehmen musiten. Aber nicht nur
das: sie hatten sich das Privilegium erkämpft, daß nur aus ihrer Mitte die hohen
Staatsbeamten, vor allem die Amtmänner, genommen werden durften. Auf den
Landtagen hatten sie die entscheidende Stimme. So war in unserm Lande, das
doch im Westen wie auf dem Mittelrücken, also in seiner weit überwiegenden
Mehrheit Bauernland war, nicht nur die Staatsverwaltung, sondern auch „die
Klinke der Gesetzgebung“ in der Hand der „Ritter“. Und dabei waren sie die—
jenigen, welche die Staatshoheit am wenigsten spürten: kein Amtmann, kein Vogt
hatte über sie zu sagen; sie hatten in ihrem „Landrat“ s. z. s. ihre eigene Re⸗
gierung und im „Landgericht“ ihr eigenes höchstes Gericht; sie bildeten wie man
gesagt hat, das „dritte Schleswig-Holstein“ und sahen in dem Landesfürsten
wesentlich nur den Primus inter pares, dessen Oberherrschaft sie sich nur sub
conditione, d. h. zunter der Bedingung der willigen Anerkennung ihrer Privi—
legien —B
Je größer die Freiheit der Ritter war, desto beschränkter war die ihrer „Unter—
— — die als „Seelen“ und Objekte der kirchlichen Tätigkeit für unsere
kirchengeschichtliche Betrachtung mindestens das gleiche Interesse haben wie der
oft recht einseitig beschriebene Glanz der Ritterschaft. Zur Zeit der Reformation
war für die Gutsuntergehörigen das Institut der „Leibeigenschaft“ schon ziemlich
fertig, wenn es auch im 17. Jahrhundert noch zu weiterer Schärfe ausgebildet
worden ist“). Es liegt uns fern, in der Art der vergangenen „liberalen“ Geschichts—
schreibung über diese Einrichtung zu zetern und sie einem völlig rechtlosen und
elenden Sklavenzustand gleichzustellen. Unter verständigen und milden Gutsherr—
schaften — und das waren in unserm Lande doch wohl die meisten — konnten
sich die abhängigen Bauern materiell ganz wohl — Aber das ist
doch sicher, daß sie in kultureller Beziehung weit hinter der Bauernschaft des
Westens zurückstanden und, in keiner Weise an selbständige Entscheidung gewöhnt,
auch die religiöse Neuerung, welche die Reformation mit sich brachte, völlig passiv
hinnehmen B
Diese kleine Skizze der äusseren und inneren Struktur unseres Landes macht
lebsglich den Anspruch, den Gang der Reformation verständlich zu machen. Sie
zeigt einerseits, warum sich die Reformation bei uns nicht einheitlich vollziehen
konnte, andererseits, wer zu dieser einschneidenden kirchlichen Veränderung be—
rechtigt war oder sich berechtigt glauben konnte. Gemeindesache konnte diese nur
in den Städten und den einigermaßen selbständigen Landgemeinden des Westens
werden. Aber auch bei ihnen konnte es sich zunächst nur um einleitende Schritte,
wie die Berufung evangelisch gesinnter Prediger, handeln — die letzte Entscheidung
in einer so wichtigen Sache, wie die Aenderung der gottesdienstlichen Formen und
der kirchlichen Lehre war, das „Reformationsrecht“, nahmen naturgemäß die
ꝛe) Literatur über die Leibeigenschaft in SH, s. bei Witt, S. 200 f. Dazu Hed.
S⸗5 ff.
Es ist immerhin bemerkenswert, daß Bewegungen wie die in Süd- und Mitteldeutsch
lafiü saufflammenden „Bauernkriege“ in unserm Land nicht nachweisbar sind.