B. 2, K. 2, 8 23. Wahres Christentum
trachtenden, besonders aber den Pflegern und Lehrern der Theologie vor andern empfohlen zu
werden.“
Der heutige Leser der Egardschen Schriften kann dies Urteil Möllers nur voll—
auf bestätigen. In einer Zeit, wo die deutsche Sprache wenigstens bei den „Ge—
lehrten“ noch ganz in den Fesseln der lateinischen einherging, wo „gelehrte“ Theo—
logen ohne lateinische und griechische Sentenzen und dogmatische Finessen in keiner
Predigt auskommen zu können meinten, ist schon das treffliche Deutsch und der
einfache Stil der Schriften Egards aufs höchste zu bewundern. Aber diese Ein—
fachheit ist nicht das Stammeln eines Einfältigen; vielmehr sind seine Schriften
voll Geist und Leben. Und, was das Veste ist, nicht Menschenfündlein, nicht
natürlicher Geistreichtum machen seine Schriften so lebendig, sondern Gottes Geist
und der Reichtum der Schriftgedanken. Dadurch, daß er in seltener Reinheit,
ohne die sonst übliche Legierung mit zeitgemässer Wissenschaft und Dogmatik, die
tiefsten Gedanken der heiligen Schrift ausspricht, gewinnen seine Schriften einen
überzeitlichen Charakter und stellen ihn in die Reihe der klassischen Erbauungs—
schriftsteller. Daß er als solcher seit dem 18. Jahrhundert in seiner Heimat völlig
vergessen zu sein scheint, ist für Schleswig-Holstein kein Ruhmestitel ').
Das, was Egard einzig und allein in immer neuer Variation treiben und ein—
prägen will, ist das „wahre“ Christentum: lebendiger, persönlicher Glaube und
heiliges, rechtschhaffenes Christenleben. Insofern ist er ein echter Jünger oder besser
einer der kräftigsten Mitstreiter Johann Arnds und ein Vorläufer des Pietismus
gewesen. Mit Arnd teilt er auch, doch noch nüchterner und gesunder, den mystischen
Zug. Dabei ist er nicht nur willensmäßig, sondern auch tatsächlich ein tadelloser
Vertreter reiner lutherischer Lehre. Dem Kalvinismus ist er heftig abgeneigt und
sieht in ihm, wahrscheinlich doch wohl, weil er ihn in seinen besten Vertretern
nicht kennt, eine verabscheuungswürdige Vernunftreligion. Nur einmal ist er
von der Bahn der Orthodoxie auf „chiliastische“ Wege abgewichen, indem er —
sogar von Spener darob getadelt — in einer Erklärung des 20. Kap. der Offb.
Joh. („Posaune der Göttlichen Gnade und Liechts““, Lüneburg 1023) den Engel,
der den Satan bindet, nicht auf Christum, sondern auf Johann Arnd deutet und
den Anfang der apokalyptischen Jahre auf 1052 setzt: dann würden Johannes der
Täufer, der Apostel Paulus, Tauler und Thomas von Kempen im Geiste wieder
aufleben und das Wahre Christentum gewaltig fördern. Auch sein Eintreten für
den merkwürdigen Braunschweiger Schwärmer Joh. Engelbrecht ist ihm stark
verdacht worden. Im übrigen aber hat niemand seine Orthodoxie anfechten können.
Noch einen dritten sonderlichen Freund und Verteidiger Johann Arnds in
unserm Lande können wir nennen: Mauritius Rachelius (Moritz
Rachel), Pastor in Lunden (f 1637)“). Auch er hat sich in den Streit um
Arnds Orthodorie gemischt und 1627 (Rostock) ein frisches und lebendiges Büch—
lein zu dessen Verteidigung veröffentlicht: Schola Arndiana, das ist „Arndtische
Schule“. Hier unterscheidet er innerhalb der Leserschaft Arnds vier Elasses eder
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5) Ebensowenig ist es zu verstehben, daß sich in allgemeinen Sammelwerken wie NEund
RGG tein Artikel über diesen Mann findet. Schian hat Rs 15, 072 ihn wenigstens als
Prediger hoch gerühmt. Nur Tholusck hat in seinen „Lebenszeugen der luth. Kirche“ (1859,
S. 387 — 408 ihn ausführlicher gewürdigt und Rist sch in feiner Gesch. des Pietismus ihn
wenigstens erwähnt (II, 35).
9) Er war der Vater zweier berühmt gewordenen Söhne, nämlich des Schleswiger Rektors
Joachim Rachelius (1 1069), des Verfassers der „Deutschen satyrischen Gedichte“
(Frankfurt 1004) und des Kieler Professors und herzoglichen Rates Samuel Rachelius
IiGoi, verol. E Iaoj.