B. 1, 9 1. Einleitung
schränkung des geistlichen Grundbesitzes und der geistlichen Gerichtsbarkeit (Schub.
S. 229 f.) und vor allem die immer stärker werdende Heranziehung der nach
kanonischem Rechte steuerfreien geistlichen Besitzungen zu den Landeslasten, die dann
in J Reformationszeit zu einer bewußten Auspowerung des geistlichen Besitzes
wird.
Aber das alles berechtigt m. E. noch nicht zu dem Urteil, daß in unserm Lande
schon vor der Reformation auch nur in gewissem Maße eine Landeskirche
bestanden habe. Zu einer Landeskirche gehört doch vor allem eine gewisse Ver⸗—
einheitlichungder kirchlichen Organisation, durch welche die
Kirche eines Territoriums von der der Nachbarterritorien sich deutlich abhebt.
Daran aber fehlte es den zu einer gewissen staatlichen Einheit gelangten „Fürsten—
tümern“, wie oben bemerkt, ganz besonders. Die taktischen Einheiten bildeten
damals und bilden noch heute innerhalb der katholischen Weltkirche die Bistümer,
und in dieser Beziehung waren die Herzogtümer fünffach zerteilt. Und selbst wenn,
wie Schubert das zu meinen scheint“), schon mit der Einheit der Landesherrschaft
eine landeskirchliche Einheit gegeben gewesen wäre, so wäre diese Einheit ja schon
vor der Reformation, in der Landesteilung von 1490, zerschlagen worden. So ist
die These Schuberts von den schon vor der Reformation beginnenden „Anfängen
der s.h. Landeskirche“ doch recht fectbat) Wenn er dagegen zum Schlusse seines
Excurses die Sache dahin formuliert, daß „die ev.luth. Landeskirche SHs und das
Kirchenregiment seiner Fürsten in der vorreformatorischen starke Wurzeln
gehabt“ habe, so ist dagegen, allgemeiner gefaßt, natürlich nichts ein zuwenden.
Aber was in unserer lutherischen Landeskirche hat nmischt in der mittelalterlichen
und der alten Kirche seine ——— ist im Gegensatze gegen die reformierte
und die Sektenkirchen die Eigentümlichkeit und die Ehre der lutherischen Kirchen—
form, daß sie nicht durch revolutionäre Zerstörung des Hergebrachten, sondern mit
vorsichtiger und pietätvoller Erhaltung des ererbten Vätergutes erbaut worden ist.
Das gilt von der Lehre, das gilt von den Zeremonien, das gilt von der priesterlichen
Stellung des Pastors und vielem andern. Wenn wir in dem Ringen um eine
nene Form der Kirche die von Luther bewahrten Erbgüter eins nach dem andern
hinaustun, so werden wir bald auf den Namen einer lutherischen Kirche keinen
An spruch mehr erheben können.
in dem Stück, das wir jetzt behandeln, in der von Fürstengewalt und
obrigkeitlicher Macht durchgeführten Reform des Kirchenwesens liegt etwas durch—
aus mittelalterlichez, das von der modernen Staatsidee weit ab ist, nämlich die
theokratische Idee von der Einheit des Staates und der Kirche in der
beides umfassenden allgemeinen Christenheit (er „Kirche““) und dem
christlichen Beruf der Obrigkeit, für die Ehre Gottes und das Seelenheil ihrer
Untertanen Sorge zu tragen. Niemals hätten christliche Oberherren mit so gutem
Gewissen die Reform in Angriff nehmen und durchführen, niemals mit solcher
Selbstverständlichkeit einerseits sich selber an die Stelle der römischen Hierarchie
setzen, andererseits ihre Untertanen in Bausch und Bogen „reformieren“ können,
wenn sie nicht durchaus noch von mittelalterlichen Ideen bestimmt gewesen wären.
Die Kirchenreform des 16. Jahrhunderts ist ein unwiederholbarer Vorgang. Wer
eine weitere Reform der Kirche wünscht, muß sich darüber klar sein, daß sie durch
17) Val. S. 226: „Indem er (derselbe Herr) kraft seiner Landeshoheit auf die Kirche beider
Gebiete einwirkte, war sie zuerst für ihn seine s.h. Landeskirche.“
18) Vgl. dazu die äusterst wertvolle Besprechung des Schubertschen Vortrages durch E. Mi—
chelbsen in KuSchbl. 18960, Nr. 3 u. 4.