Schwärmertum und Orthodorie
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Egardus mit dem vom Husumer Pastor erbetenen brieflichen Gutachten (bei
Krafft S. 488 — 92). Tetings und Lohmanns Anschauungen kommen klar und
deutlich in ihrem „Wahrhafftigen Bericht“ (Krafft S. 475- 488) zum Aus—
druck. Interessant ist, daß die Verfasser hier ihre Sonderlehren mit dem recht
verstandenen Luther zu stützen suchen.
Der Hauptstreitpunkt war die Christolhogise. Darum beginnt der „Wahr⸗
hafftige Bericht“ mit diesem Punkt und bekennt „daß Christi Fleisch nicht aus
Fleisch, sondern allein vom heiligen Geiste, von dem geistlichen Samen Mariae,
aämlich dem lebendigen Worte Gottes (dem Logos), welchen sie durch den Glauben
empfangen und derhalben ihr zugerechnet und ihr Same genannt wird, seinen
Ursprung habe“. Die Verfasser ziehen hier Luthers Schrift wider die Sakra—
mentierer von 1827 („Daß diese Worte Christ ... noch fest stehen“) mit ihren
auffallenden Reden von dem geistlichen, göttlichen Fleische Christi heran und ver—
bauen sich wider die Einrede, daß Luther anderswo anders gelehrt habe, damit
daß sie sagen: er sei ja auch nicht der Meister, sondern allein Gottes Wort!“9.
Dame in seiner „Retorsion“ widerlegt diesen Valentinischen, Marcionitischen
und Eutychetischen Irrtum zunächst mit den Aussagen der Väter (Irenäus, Ter—
tullian, Epiphanius), führt ihn auf Schwenkfeld und Weigel zurück, setzt dein von
T. und L. angezogenen locus Lutheri zwei andere entgegen und beweist endlich
mit kurzer aber treffender eigener Ausführung als schriftmäßig die Lehre, daß
Christus unser menschlich Fleisch und Blut, nur ohne Sünde angenommen habe.
Die Ausführungen, welche Teting im Prodromus apologeticus dem entgegen—
setzt, sind künstlich ziind wenig überzeugend.
Egardus sagt, durch die vorgebrachte Christologie werde der ganze Grund
unserer Seligkeit und das Fundament alles Trostes umgestossen: „Wie können
wir leben und Trost haben, so Gottes Sohn nicht ist unser Fleisch und Bruder —
was kann für ein Mittel und Weg sein zur Versöhnung und Vereinigung mit
Gott? Unser Fall hat ja nicht koͤnnen gebüßet werden ohne allein durch eine
Person, die Gott und Mensch zugleich, dabei wir müssen bleiben.“ Die Empfäng—
nis Christi aus dem heiligen Geist bedeutete nur das Wunder einer Empfängnis
ohne Mann und „ist nicht aus dem Wesenund Natur des heiligen Geistes,
sondern aus seiner heiligen und allmächtigen Wirkung'““. Luthers Worte recht.
fertigt Egardus so: „Obwohl Christi Fleisch kein ander Fleisch nach dem Wesen
denn unser, so ist's doch ein ander nach der hohen Conditionund Gnad e,
daß es nicht ist wie unser Fleisch, unrein, sündlich und irdisch, sondern rein, himm
lisch, heilig.“
Dem anderen Hauptsatz der Schwenkfeldianer, daß Christus wesent⸗
lich mit Fleisch und Blut in seinen Gläubigen wohne, setzt Dame die richtige Er—
klärung von Joh. 1, 14 entgegen (nicht — in, sondern — unter oder „manck“
uns) und bestreitet, das Joh. 17, 23 von einer „localischen“ Einwohnung mit
Haut und Knochen die Rede sei.
Die Reden der Schwärmer vom innerlichen Menschen, so führt
Dame zum dritten aus, ist an sich biblisch. Aber es ist verkehrt, wenn sie an eine
Substanz denken, die durch das geistliche Fleisch Christi in uns bereitet werde,
n) Die wunderliche Schwenkfeld-Weigelsche Lehre von dem geistlichen, göttlichen Fleische
Christi gründet sich auf mistverstandene Schriftstellen und erklärt sich aus der Hauptposition
dieser Mystiker: Christuüs wohnt wesentlich, voll und ganz, mit seiner ganzen Person in seinen
Gläubigen, also auch mit seinem Fleische. Dann aber kann sein Fleisch nicht gewöhnliches
menschliches, irdisches Fleisch, sondern musi geistlicher, himmlischer Natur sein.
Feddersen, Kirchengeschichte, B. II.