Eindringen des Pietismus in SH
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karmen und einem Anhang vermehrt, hier erneut gedruckt und in der Bürger—
schaft verbreitet worden ). Durch alle Bemühungen des wackeren Sup. Nie.
Hunnius (vergl. oben S. 303) war diese spiritualistische Bewegung in gewissen
Bürgerkreisen nicht ertötet worden. So ist es denn kein Wunder, daß sie in den
sOer Jahren von neuem aufflammt, und wir bereits 1005 eine Sammlung der
„Erweckten“ in einem förmlichen Konventikel wahrnehmen. Es ist bemerkens—
vert, daß es zwei Jünger Brecklings waren Thomas Tanto und Joachim
Taube, welche dies separatistische Konventikelwesen besonders förderten. Nach
hnen stellte sich an die Spitze des Konventikels Gottfried Friedeborn.
Auch dieser hat Beziehungen zu unserm Lande und ist von Breckling unter die
„Zeugen der Wahrheit“ gesetzt worden“). Weiterhin hat Joh. Wilh. Pe—
tersen, der sich als Magister ein Jahr lang (1676/77) hier aufgehalten hat,
die Konventikelkreise beeinflußt und mit der Spenerschen Bewegung in Ver—
bindung gebracht. (Schulze S. 100 f.). Durch Petersen und seine Frau wurde
die von ihnen entdeckte und protegierte „Seherin“ Rosamunde Juliane von Asse—
burg den Lübecker „Erweckten“ vorgestellt und erzeugte hier eine Nachfolgerin in
der berühmten „Schwartz in“, Adelheid Sybille, Ehefrau des Malers Hans
Heinrich Schwartz (um 1090), deren apokalyptische „Bezeugungen“ von A. H.
Francke als göttliche Offenbarungen anerkannt wurden.
So hat in Lübeck ein sehr lebendiger Laienpietismus bestanden, der unfraglich
weit in die holsteinische Umgebung hineingewirkt hat.
Nicht ohne Zusammenhang mit Lübeck wird jene separatistische Bewegung sein,
welche in den dOer Jahren die sog. Holländer“) auf den großen Gütern
Ostholsteins erfaßte. Der eigentliche Erwecker und Treiber dieser Bewegung ist
der genannte Johann Michaelis gewesen, der um 1090 herum die Absicht
hatte, „in Holstein an einem Orte eine philadelphische Gemeinde anzulegen“),
Tatsächlich wissen wir von einer großen Versammlung von „Erweckten“, meist
Holländereipächtern, welche in der Nähe von Preetz unter Johann Michaelis'
Vorsitz stattgefunden hat. Die Bewegung nahm ausgeprägt separatistische Formen
an: ihr Laienführer, der Meiereipächter Abraham Fock auf Schulenburg im
Kirchspiel Oldesloe teilte sogar mit anderen in den Häusern das Abendmahl aus.
au) Mitteilungen des Vereins für Lüb. Gesch., 10. und 11. Heft, 1902, S. 75. Die hier
S. 68 ff. und 60 ff. mitgeteilte Arbeit des cand. Th. Schulze über „die Anfänge des
Pietismus in Lübeck“ ist sehr instruktib.
n) Ein Weigelianer und Gesinnungsgenosse Tetings, geb. 1012 zu Stettin, ward er 1033
Pfarrer an der damals zum Amte Trittau gehörigen Kirche zu Sahms. „Meben seinen
jonstigen Schwärmereien vertrat er die calvinische Auffassung von der Heiligkeit der Kinder
vor der Taufe und schaffte deswegen 1002 eigenmächtig den Erorcismus ab, an dessen Stelle
er ein selbstgemachtes Gebet setzte. Darüber geriet er in heftigen Streit mit seinem GS Jo.
Reinboth, dem Kanzler Kielmansegg, und den meisten seiner Amtsbrüder. Friedeborn vertrat
ein Recht mit solcher Heftigkeit, daß er schlieslich 1005 seines Amtes entsetzt und zu lebens—
änglicher Gefängnishaft verurteilt wurde. Er wurde vor das Dänische Tor in Kiel gebracht,
sein Ornat ihm ausgezogen und ihm in Stücke zerrissen zugeschickt“ (Schulze a. a. O. S. 902 f.).
16608 war er aus dem Gefängnis entlassen und betätigte sich in der angegebenen Weise in
dübeck (Sterbejahr und Ort unbekannt). — Was für ein Wirrkopf dieser „Zeuge der Wahr—
zeit“ war, welche geradezu wahnwitzige Selbstüberhebung ihn beseelte, bezeugt ein von Wotschke
in Heft der „Blätter für Keß Ponimerns“ S. 20 ff. mitgeteiltes Schreiben von seiner Hand.
n) Als Holländer bezeichnete man die Pächter der Gutsmilchwirtschaften. Die ersten dieses
Beruͤfes mögen wirklich aus Holland gekommen sein; das würde schon zur Erklärung dafür
dienen, wie inmitten der so nüchternen und geistig wenig lebendigen Landbevölkerung Wagriens
eine lebendige religiöse Bewequng auftauchen konnte.
un) Briefliche Mitteilung von Th. Wotrichke.