Eindringen des Pietismus in SH
Bauerngemeinde auf einen Hochstand des religiösen Lebens, der noch lange nach
seinem Tode nachgewirkt hat.
Wenn wir vom Königlichen zum Fürsstlichen Anteil hinübersehen, so
haben wir zu bedenken, daß das Bekenntnis zum Pietismus und die Berufung
pietistischer Amtsanwärter hier leichter war als dort, weil hier seit 1089 die Ober—
hirten selber dieser Richtung angehörten. So sind uns denn hier auch schon in
der Frühzeit des s. h. Pietismus (bis 1721) manche Geistliche als Vertreter dieser
Richtung bekannt. Ich nenne aus der Propstei Tondern: Propst Sa—
muel Reimarus“) (1703-541727 in Tondern, vorher Hofprediger auf
Gottorf), seinen Nachfolger im Propstenamt Johannes Joachim Arends,
seit 1714 Pastor in Risum“), sowie Laurids Friis in Brede (F 1784),
der sich durch sein in Amsterdam 1084 erschienenes Werk „Unmasßigebliche Mut—
maßung, was sich in der noch hinterstelligen Zeit der Welt vor dem jüngsten Tage
zutragen werde“ als ein Anhänger des Spenerschen Chiliasmussub-
bilhins erwiesen hat“). Aus der Propstei Gottorf sind zu nennen Paul
Mercatus QGMeerkatz), ein geborener Pommer, 1715 - 717539 Archidiae.
am Dom zu Schleswig, der Gründer des dortigen Waisenhauses, und Hinrisch
Brummer,169341723 Pastor in Haddeby und am St. Johanniskloster““)
und Mag. Johann Melchior Krafft, aus Wetzlar stammend, 1008-
17060 Kompastor in Süderstapel “).
Der letztgenannte hat dann als Pastor zu Husum (1709- 71751) im Sinne
eines gemästigten Pietismus kräftig gewirkt. Vor ihm aber ist dort schon ein be—
deutsamer Laienchrist für eine Reform des Kirchenwesens und der Volkssittlichkeit
eifrig tätig gewesen: der Stadtsekretär Augustus Giese“').
Auffallend ist, daß in dem später, religiös so regsamen dänisscchen Nord-—
schleswig während unserer Periode vom Pietismus so wenig zu verspüren ist.
In Hadersleben war um 1714 herum — ich entnehme das aus einem mir
von Th. Wotschke übersandten an Francke gerichteten Briefe eines Nic. Dall —
das Ministerium noch steif orthodor und von pietistischen Regungen innerhalb der
u) Vgl. BuM 9, 320 f.
7) Vgl. a. a. O. S. 1487 f.
) Vgl. Bu Me5, 162, Moller J, 198 und Breckings Katalog Mr. 118.
au) „Er hat“, schreibt J. S. Beyer in Schleswig an Francke (Bu MeH, 4960), „das Evan⸗
gelium bei Alten und Jungen allbereit 24 Jahre per modum quaestionis traktiert und den
usum practicum dabei gezeiget. Die Zuhörer sind dabei im Aufschlagen so fertiq, dasi ich
mich berzlich darüber gefreut babe.“
*0) Von diesem bedeutenden Parteigänger des Pietismus werden wir später noch mehr hören.
Hier verweise ich nur auf die interessante Schilderung seines Charakters, die Günther Bu M9,
S. 331 f. gibt
21) Vgl. über diesen denkwürdigen Mann Moller Jl 209 f. und bes. Krafft S. 250 jj.
Geboren zu Husum 1020, Stadisekretär daselbst 10441 281 (Todesjahr mir bisher unbekannt),
hat er nach seiner Entlassung aus dem Amte mehrere wegen „ihrer ebenso kräftigen wie an—
genehmen Schreibart, in der er dem Freimut eines Balth. Schuppe erfolgreich nacheifert“
Moller) höchst lesenswerte Schriften veröffentlicht. Die bemerkenswerteste ist der „»jSpiegel
des heutigen Christentums, an unsern elenden . .. Almosen ... dargestellet
(Gamburg 1087, Schleswig 1090), eine gründliche Kritik des damaligen Armenunterstuüͤtzungs-
wesens, gleich bemerkenswert durch die fromme biblische Unterbauung wie ihren praktischen
Blick. Mach seinem Tode sind unter dem Titel „Rier Traktaten“ mehrere höchst ori⸗
ginelle Schristen A. Gieses gesammelt 1711 zu Plön herausgekommen. Ein Bruder des
Stadtsekretärs war der Kieler Pastor Joachim Giese (f 1094), ein Sohn der Husumer
Archidiakonus gleichen Namens (f 1712). Eine nähere monographische Beleuchtung dieser
denkwürdigen Gestalt wäre m. E. ebenso erwünscht wie dankbar.