Ein Problem unserer Reformationsgeschichte
Wie erklärt es sich,daß trotzdem unser Volkssich schein—
bar so leicht zudem Menen,das die Reformationbrachte,
hinüberleitenließ?
In Beantwortung dieser Frage hat man auf den ruhigen Charakter
usseres Volkes gewiesen. Darin liegt gewiß etwas richtiges, wenn man
auch nicht vergessen darf, daß unser s.h. Volk mit seiner Ruhe einen sausgeprägten
Eigensinn und eine starke Kraft des passiven Widerstandes —
Weiterhin ist zu bedenken, daß unser Volk von religiöser Freiheit und eigener
Berantwortlichkeit in religiösen Dingen noch nichts wußte und den Gehorsam
gegen obrigkeitliche Befehle schon ziemlich gut gelernt hatte.
Aber auch das erklärt die Sache noch nicht völlig. Denn in Sachen der Religion
und der ererbten Sitte ist auch ein unmündiges Volk empfindlich: eine neue
Religion läßt sich nicht so leicht ankommandieren wie eine neue Steuerauflage, es
sei denn, daß ein Volk völlig unfromm sei — und das dürfen wir von unseren
Vorvätern doch wohl nicht deee
Die Sache erklärt sich erst völlig, wenn wir zwei Tatsachen mit in Erwägung
ziehen: die Art, in der die Reformation sich in unserem Lande vollzog, und den
Gesamtcharakter des Luthertums.
Was das erstere betrifft, so ist zu bedenken, daß sich in unserem Lande die
Neuerung nicht in revolutionärem Sturme weder seitens der Obrigkeit, noch
seitens volkstümlicher Kräfte vollzog, sondern mit echt schleswig-holsteinischer Ge—
mächlichkeit, Bedächtigkeit, um nicht zu sagen Gemütlichkeit. Wir hören verhältnis—
mäßig wenig von Bilderstürmerei und gewaltsamer Vertreibung der alten Priester—
—
jedoch meines Bedünkens mit voller Sicherheit anzunehmen, daß in den aller—
meisten Landgemeinden die alten Pfarrer, nachdem sie sich mit ihren
„Köchinnen“ verheiratet und der befohlenen Kirchenordnung unterworfen hatten,
an ihren Stellen verblieben, so, wie wir das von der Haderslebenschen Reformation
bestimmt wissen.
Noch wichtiger aber ist m. E., daß die kirchliche Veränderung bei uns nicht in
der scharfen Art des Zwinglianismus oder gar des Calvinismus geschah, sondern
in der milden, das Alte nach Möglichkeit koönservierenden Art des
Luthertums. Was gingen den gemeinen Mann die kirchenpolitischen Ver—
änderungen an? Was kümmerte ihn das Schicksal der Bischöfe und Kapitels—
herren? Was kümmerte ihn der theologische Streit, ob nur Schrift oder auch
Tradition, ihn, der auch die deutsche Bibel weder lesen konnte noch je in die Hände
bekam? Ihn kümmerte nur das örtliche Tun und Treiben der Kirche, und das
lief, von etlichen Aenderungen abgesehen, auch nach der Reformation zunächst seinen
alten gewohnten Gang weiter. Der Sonntagsgottesdienst behielt seine feierlichen
Formen als Meßgottesdienst, die Lichter brannten weiter auf dem Altar, der
Priester behielt sein buntes Meßgewand, es blieb das hochheilige geheimnisvolle
Sakrament des Altars, die sakramentale Wirkung der Taufe, die Privat-(Ohren-)
Beichte und die priesterliche Absolution, im allgemeinen auch der Bilderschmuck in
der Kirche. Wenn auch der Heiligendienst offiziell abgeschafft war — niemand hin;«
derte den Bauern, für häuslichen Gebrauch seinen Privatheiligen weiter zu ge—
brauchen, niemand störte ihn auch in seiner mit altheidnischen Elementen durch—
setzten Bauernreligion. Das „Segen und Böten“ hatte er auch bisher nur im Ge—
heimen betrieben, und der neue Glaube kam nicht als Aufklärung. Einiges wurde
Feddersen, Kirchengeschichte, B. II.