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Unter dem 22. Juni 171 1 erliesi der Administrator Cherist ian Au—
gust ein scharfes Edikt wider die hin und her im Lande sich findenden „Fana-
ticos“ (wilden Pietisten). Sehr ausführlich werden diese beschrieben als Leute,
welche zum Teil unter dem Schein besonderer Heiligkeit allerhand wiedertäuferische,
Weigelianische und fanatische Lehrsätze vertreten, die reine Lehre, das Predigtamt,
Taufe und Abendmahl verlästern, die Lutherische Kirche für ein verfluchtes Babel
erklären und besondere heimliche Conventicula zu veranlassen sich nicht ent—
blöden, das Geistliche Priestertum mit dem öffentlichen Lehramt ohne nötigen
Unterschied vermischen, die Hauptartikel der wahren seligmachenden Religion in
eine höchstschädliche Confusion zu bringen und die Einfältigen auf allerhand schäd—
liche Irrwege zu berücken sich höchstens angelegen sein lassen.
Die nächste Veranlassung zu diesem Edikt hatte nach I-MeIV, 178 „ein
Fanatiker Albertt gegeben, der um das Jahr 1710 nach Schleswig und Frie-
drichstadt gekommen war und Anhänger gefunden hatte. Er hatte sich im Halle—
schen Waisenhause aufgehalten, in Friedrichstadt sich an die Quäker angeschlossen,
und war in Schleswig mit dem Pastor Stricker in Streit geraten, weshalb eine
Untersuchungs-Kommission dort niedergesetzt wurde“ ?).
Während das Gottorfsche Edikt nur gegen die fanatischen Auswiüchse des Pie—
tismus gerichtet war, hatte dagegen die Könighiche Verordnung,
Glückstadt, 4. Oktober 1712 offenbar auch den gemäßigten, kirch—
lichen Pietismus im Sinne. Die Werordnung gebot, daß keine der pietistischen
Lehre verdächtigen Bücher neu gedruckt oder verkauft werden und niemand, der
sich auf einer der Pietisterei verdächtigen Universität aufgehalten hätte, zum Amt
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eine besonder Vorgescchichtte, welche für den Gegensatz zwischen Orthodorie
und Pietismus so bezeichnend ist, das wir sie ein wenig näher betrachten müssen.
2. Konflikt des Flensburger Konsistoriums mit GS und Pröpstesynode (1711,12).
In Flensburg war zu jener Zeit die Mehrheit des Ministeriums pietistisch
acrichtet (Sergl. oben S. 354). Als orthodorer Hecht im pietistischen Karpfenteich
wirkte nur der wenig sympathische H. Braker (vergl. oben S. 357). Orthodor
scheint auch der Enkel Klotzens, der Paster an St. Marien, Stephan Jeb—
sen (t 1720) gewesen zu sein. Aber er war persönlich offenbar toleranter als
Braker und tat seinen pietistischen Amtsbrüdern nichts zu leide. So konnten
denn diese sich zu fester Gesinnungsgemeinschaft zusammenschliesien und bildeten,
bei der Bürgerschaft geachtet und beliebt, eine Macht in der Stadt und eine feste
Majorität im Konsistorium. An Andreas Hoyer, Pastor an St. Jo—
hannis, hatten sie einen Führer, der als Vicepropst unter dem eigentlichen Propsten
Schwartz (694 - 1709), dann nach Schwartzens Tode (700 1724) als wirk—
licher Propst ihre Interessen mit Klugheit und nicht ohne Kraft vertrat, auch,
2) Muhlius hat stark betont, daß das Editt von ihm inspiriert worden sei. Wenn das bei
diesem „Pietisten“ auffällt, so ist zu bedenken, das durch das Edikt doch nur der „wilde“, separa—
tistishe Pietismus getroffen wird, dem Muhlius durchaus ablehnend gegenüberstand, und dasi
er damals, da er bei Hofe nicht in Gnaden stand und das stramm lutherische Schweden seinen
Einfluß auf Gottorf geltend machte, alle Ursache hatte sich auf seine „Orthedorie“ und die
in ihm ohne Zweifel vorhandene Grundrichtung auf Recht und Ordnung in der Kirche zu
besinnen.