Amtliche Zeugnisse über sittliche Mängel
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In der Constitutionvom 26. Febr. 1017, in welcher der junge
Gottorfer Herzog Friedrich III. das Mandat seines Vaters wider das Schmähen
und Schelten auf der Kanzel erneuerte, wird den Geistlichen auch geboten „für
ihre Person selbst ihrer anbefohlenen Heerde mit Gottesfurcht, gutem Erempell
und heiligem unsträfflichen Leben und Wandel fürzuleuchten, bevorab in abstellung
alles fressens, sauffens und Geitzes, welche laster wie auch andere
mehr itziger Zeit von denen Kirchendienern getrieben
werden und aber ihnen viel weniger als andern geziemen und wohlanstehen“.
(Const. V, 66). Wenn in dieser Constitution, die nicht etwa nur im geheimen
den Pastoren und geistlichen Aufsehern, sondern ganz öffentlich allen weltlichen
Behörden zur Kenntnis und Nachachtung zugestellt wurde, derartig über den
Wandel der Geistlichkeit geurteilt wird, must es doch mit demselben recht übel be
stellt gewesen sein.
Schon hier wird das Laster berührt, das zuerst und vor allen der Geistlichkeit
des 17. Jahrhunderts vorgeworfen wird, die Trunksucht. Aus ihr ergaben
sich andere Ercesse: das man in den Krügen mit den Bauern zechte und sich zum
Schluß wohl mit ihnen raufte; dasi man bei geselligen Veranstaltungen bis zum
frühen Morgen aushielt und vor andern sich in unmästigem Essen auszeichnete.
Gegen dieses Laster richteten sich daher vor allem die behördlichen Mandate.
So heisit es in einer Königlichen Constitution von 1678 (Bunll, 600):
„Da an etlichen Oertern das schändliche Laster des Volltrinkens zu befinden, sollen die Pröpste
fleisßig Acht darauf haben und bei der Visitaätien dem S Meldung tun. Wie im Reiche
Dännemarck soll ein Priester, wenn er sich zum drittenmal gänzlich übersofsen hat, ab olficio
removirt und gestraffet werden.“
Vesonders charnkteristisch ist in dieser Beziehung auch die groñe Königliche Constittution
vom 24. October 1046, in welcher es (1. C. 1, 210) „beym andern Haurt-Punkt, vom
Leben der Prediger“ heisit: 1. Es ist billig, daß ein Collegßa des andern vitia und Gebrechen,
nach dem dieselben in publicum scandalum ausbrechen, und die
selben durch seine PrivatErmabnung nicht corrigiret und gedämpfet werden, dem Probsten
signifieire;, woferne es nicht geschieht, und der eine mit dem andern unters Hütlein spielet, soll
derselbe ebenso schuldig sein wie der ander. 2. Und weilen die Trunckenheittei—
der! ganz gemein, sollen die prediger durhgehends und obne Unterscheid das Giesöffs
in genere meiden, auf den Dorfern sich der Krüge äussern, noch in andern ehrlichen Giesell«
schaften bis auf den letzten Mann besikzen bleiben und aushalten, wie dann dadurch manchem
Prediger, der sonsten ungerne in Gesellschaäften sich anderer Leute Moribus bequemte, Ursache
kan gegeben werden, solches um soviel mehr und mit besserer Manier zu decliniren und abzu—
schlagen. 3. Wie dann nicht weniger diejenigen Pricster oder Pastores, welche betroffen
werden, dasi sie sich voll oder doll gesoffen, billig ab oflicio zu susrendiren, und sounderlich,
wann sichs zum zwenten und dritten mahl zutrüge, auch, da keine Vesserung zu hoffen, noch
erfolgen wollte, gar zu removriren.
Zur Erklärung, nicht Entschuldigung dafür, daß gerade die Trunksucht bei den
Predigern so weit verbreitet war, dient einerseits, das das unmäßige Trinken im
10. und 17. Jahrhundert bei alblein Ständen zu finden war, und insonderheit
die Junker und die Fürsten (besonders z. B. Herzog Johann Adolf, König Frie
drich II. und Christian IV.) in diesem Laster ihren Untertanen ein hervorragendes
Beispiel gaben, andererseits, das bei dem rohen Studentenleben, das derzeit
herrschte, die künftigen Prediger auf den Akademien das Saufen und Raufen oft
besser lernten als die Wissenschaft.
So erklärt es sich auch, daß trotz der scharfen Strafandrohungen, von denen
wir gehört haben, die Aufsichtsbehörden gerade bei diesem Laster mehr als gut war,
die Augen zudrückten.