Full text: 1517 - 1721 (2)

Der Kirchengesang 
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wo es Lateinschulen gab, war ein Sängerchor leicht zu beschaffen: er wurde von 
den älteren Schülern gestellt und vom Kantor, d. h. einem Mitglied des Lehrer— 
kollegiums, geleitet. Auf dem platten Lande dagegen haperte es auch in dieser 
Beziehung vielfach. So fand Fabr. in Böel gar keine Kinder im Chor, in 
Rabenkirschen nicht mehr als zwei. Das im ganzen so wenig sangesfrendige 
Sieseby besaß doch einen guten Sängerchor“). Wo auch der Chor versagte, 
lag sowohl das Respondieren wie die Leitung des Gemeindegesanges ganz auf den 
Schultern des Küsters (oder Kaplans?) oder eines freiwilligen Vorsängers in 
Gestalt eines „Hausmannes“ oder sonstigen Gemeindegliedes, mag daher oft 
kümmerlich genug gewesen sein. 
Der Kirchenchor bestand stets aus Knaben — auch das mag mit ein Grund 
dafür gewesen sein, daß das Weibsvolk sich schlechter am Gemeindegesang be— 
teiligte als das Mannsvolk, das doch zu einem Teile in der Jugend im Chor mit— 
gewirkt hatte. Er hat seinen ursprünglichen Platz im „Chor“, d. h. dem Altar— 
raum oder, wo ein solcher vorhanden war, auf dem Lettner. Wo es eine Orgel 
gab, befand sich der Chor, soweit „auf der Orgel“ Platz war, dort ). Aber da 
dort öfter der Platz nicht ausreichte, musite der Chor vielfach weit von der Orgel 
getrennt seinen alten Ort behalten. Das war für das Miteinanderwirken von 
Chor und Orgel natürlich nicht günstig. Es will jedoch bedacht sein, daß in un— 
serer Periode der Gemeindegesang nicht von der Orgel, sondern nur vom Chor 
—XX 
2. Gesangbücher. 
„Außergewöhnlich spät beginnt die Geschichte der s.h. Gesangbücher, später als 
die jedes anderen Gebietes von dieser Größe im evangelischen Deutschland.“ So 
beginnt die wertvolle Darstellung E. Bredereks?), der ich in diesem Ab— 
schnitt folge. 
Daß unsere Kirche wie so viele andere Jahrhunderte lang ohne Gesangbücher, 
d. h. ohne offiziell von der Kirchenleitung angeordnete und allgemein von der 
Gemeinde gebrauchte geistliche Liedersammlungen ausgekommen ist, erscheint uns 
Heutigen erstaunlich, ist aber bei dem Stande der allgemeinen Volksbildung be— 
greiflich. Zwar haben die lutherischen Landeskirchen schon früh eine Liedersamm— 
5) Darüber berichtet Fabr.; „Die Knaben kommen auch fein mit zu Chor, singen die 
Christliche Psalmen mit, können auch fein die Litaney mit vorsingen, da Küster und Gemeinde 
antworten.“ 
6) Ergötzlich erzählt Fabr. von dem Pastor zu Blekendorf: „Er klaget über großen 
Schwindel des Häupts und Mattigkeit des Leibes, kan den Gesang auff dem Chor wegen des 
Gethöns nicht vertragen, darümb die Schüler auff der Orgel, die aber nicht geschlagen wird, 
weil sie bey der Kriegszeit verderbet, singen müssen; er hat es zwar einmahl mit dem Gesang 
im Chor versuchet, aber in ohren nicht erdulden können, bleibet also noch, wie im vorigen 
Jahr referiret.“ 
) Die Orgel spielte während unserer Periode noch nicht die hervorragende Rolle, die 
wir ihr heute geben. In Kappelnez. B. war zwar eine Orgel, ward aber nicht „geschlagen, 
theils weil sie mangelhaft, theils weil die Leute zu unterhaltung eines Organisten nichts dar—⸗ 
reichen wollten“ (Fabr. 16039). So war denn auch das Organistengehalt in der 
Regel sehr schmal, und die Musiker, die sich zu solchem Dienste bereit fanden, waren ge— 
zwungen, als Schulmeister, Kirchspielsschreiber oder dal. einen Nebenverdienst zu suchen. In 
der Passionszeit musite die Orgel ganz schweigen, ebenso bei fürstlichen Trauerfällen. 
*) Geschichte der s.h. Gesangbücher. J. Teil: Die älteren Gesangbücher (bis 1771). Schrr. 
Nr oq, 1010. 
Feddersen, Kirchengeschichte, B. II.
	        
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