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B. 2, K. 4, 8 38. Priesterliche Verrichtungen
Vorgewinge myner Sünde sprecken / vmme Gades willen.“ Auf die Aufforderung
des Beichtvaters: „Ja, segge her!“ bekannte der Beichtende entweder irgend—
welche besonderen Sünden oder sprach die allgemeine Beichtformel. Darauf sprach
der Beichtvater: „Godt sy dy gnädich / vnde stercke dynen Gloven Amen. —
Gelövestu ock, dat myne vorgewinge Gades vorgevinge sy!“ Auf das „Ja, leve
Here“ des Beichtenden sprach der Priester: „Dy geschehe alse du gelövest
vnde Ick vth befehle unses HEREM JEsu Christi vorgeve dy dyne Sünde im
Namen des Waders / vnde des Söhns (vnde des hilligen Geistes / Amen. Gha
hen im frede *).“
Nach den allgemeinen Anordnungen über die Beichte fährt die KO fort:
„Darna wo sick de Sünder ock berichten laten (mit dem Sakra—
ment versehen lassen) will...“ Hier ist das „a uch“ (quoque, Ord.) be—
sonders zu beachten. Aus diesem Wörtlein geht nämlich deutlich hervor, daß die
Beichte für die Väter unserer KO doch nicht bloß, wie es schon in katholischer
Zeit vielfach üblich geworden war und später bei uns ganz allgemein geworden
ist, als Vorbereitung zum Abendmahlsempfang in Betracht kommt, sondern noch
eine selbständige Bedeutundg behalten hat. Es konnte also auch bei
uns wie in andern Landeskirchen“) ein von Gewissensnöten Beschwerter jeder—
zeit zum Pfarrer gehen und ihn um Absolution bitten. Ob und in welchem Maße
das bei uns nach der Reformation geschehen ist, darüber sind mir Zeugnisse nicht
bekannt geworden.
Wenn also „der Sünder“ auch zum Abendmahle gehen wollte, so sollte der
Priester ihn fleißig (diligenter, Ord.) nach seinem Verständnis vom Abend—
mahl, dessen Wesen und Bedeutung befragen, auch erkunden, ob er in der Schule
Christi so viel gelernt habe, daß er die Worte des Katechismus — gemeint ist
doch wohl der ganze Katechismus (ohne Erklärung), nicht bloß die Einsetzungs
worte — aufsagen könne. Wo nicht, soll der Beichtende als einer, der kein hoch
zeitlich Kleid trage (1), solange vom Abendmahl ausgeschlossen bleiben, bis er
„sich bessere und sein Ding besser lerne““. Doch soll der Ausschluß dem Sünder
nicht öffentlich vor dem Altar und in Anwesenheit vieler Leute, sondern, um
irgend welche „Nachrede“ (infamia) zu vermeiden, nur heimlich in der Beichte
angezeigt werden ).
Die Einführung dieses von Luther selbst seit 1523 geforderten „Beicht-
examens“ ist zwar bei der Rudität des „groben Volkes“ verständlich, hat
aber doch vom Standpunkte des wahren Christentums aus nicht unerhebliche Be—
denken. Nicht nur, daß in einem so heiligen Akt, wie die Beichte als die Be—
gegnung des sündigen Menschen mit dem richtenden und gnädigen Gott sein
sollte, sich störend eine didaktische Maßregel mischte — das entsprach ja so ganz
der uns heute unmöglichen Auffassung der Reformatoren von der pädagogischen
Bedeutung des Gottesdienstes — nicht nur, daß das „hochzeitliche Kleid“ grob
mißverstanden war und von der Jesu gefälligen Einfalt und Innigkeit der reli—
2) Nach der plattdeutschen Form bei Walther.
iu) Vgl. Rietschel 1—, 347 f.
19) Ob im Falle eines ungenügenden Bestehens solchen Eramens auch die Absolution ver—
weigert werden sollte, ist nicht erkennbar. Man darf doch vielleicht annehmen, daß einsichtige
und barmherzige Priester solchen, denen die Vergebung ihrer Sünden wirklich Herzensbegehren
war, den Trost der Absolution um solches intellektuellen Mangels nicht versagt haben werden.