B. 2, K. 5, 9 42. Erzichungsfaktoren
Sehr bemerkenswert ist nun die eigenartige Verschie bung, die schon am
Ende des 16. und vollends im 17. Jahrhundert in dem Werhältnis von
Bann und Buße eintritt. Ursprünglich nur Lösung vom Bann, also keine
Strafe, wird die „öaffenbare Buße“ (vermutlich, weil sie mit ihren demüti—
genden Formen in dem ganzen Strafverfahren das empfindlichste Moment war)
selber zur Strafe gestempelt. Schon in der Eiderstedter Ref. und PO (ebenso in
der Husumer) erscheint die ganze Sache unter dem Titel „von der offenbaren Busie
(C. S. S. J, S. 143 ff.), und sowohl die beiden Fabricius wie Klotz brauchen in
ihren Visitationsberichten ganz harmlos und wie selbstverständlich den Ausdruck:
„zur offenbaren Buße verurteilen“. Nach der genannten Ordnung (S. 144)
kann der Pastor, wenn die vorgeschriebenen Ermahnungen vergeblich gewesen
sind, den Sünder „nahmkündig strafen und ihm die offene Buße ernstlich auf—
erlegen“, doch nur nach zuvor eingeholtem Ratt des Propsten und Konsistoriums.
Sollte derselbe bei seiner Sünde bleiben und die offene Busie nicht tun wollen,
so soll er auf Beschluß des Konsistoriums in den Bann getan und „von der
Gemeine Christ gänzlich abgeschieden und ausgeschlossen“ werden solange, bis er
offene Vußsie leistet. Kehrt er sich auch an den Bann nicht, so soll er gefänglich
eingezogen und das Urteil Serenissimi eingeholt werden.
Hier erscheint also die offenbare Buße als eine Art freiwilliger Strafe, die
man auf sich nimmt, um der „letzten Medicin“ der Kirche zu entgehen, behält
aber zugleich ihre Stellung als Lösung vom Vann. Andererseits soll die Drohung
mit dem Bann dazu dienen, die offene Busie zu erzwingen. Diese wird also tat—
sächlich zum Mittelpunkt und Hauptstück des ganzen Strafverfahrens. Wie nun
die Geldstrafe ursprünglich eine Buße, d. h. eine Ablösung schärferer Leibesstrafe
darstellt und man dennoch später von einer „Verurteilung“ zu einer Brüche spricht,
so kann man es verstehen, wenn nicht nur das „grobe Volk“, sondern auch rechts—
erfahrene Männer die „Auferlegung“ der Kirchenbuße zur Vermeidung schlim—
merer Strafe als Strafe bezeichnen konnten.
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4. Zur Geschichte der Kirchendisziplin.
Die aus dem kanonischen Recht ziemlich besinnungslos in unsere lutherische
Kirche übernommene Kirchenzucht hat sich nicht lange erhalten: im 18. Jahr—
hundert ist sie bei uns wie in andern lutherischen Kirchen sang- und klanglos
begraben worden. Wie ist das zu erklären? Zunächst durch den inneren Wider—
spruch, in dem sie zum Begriffe einer Volkskirche steht. Kirchenzucht ist herrlich
und möglich in einer kleinen Gemeinschaft, in der wenigstens die überwiegende
Mehrzahl der Glieder sowohl wie der Leiter ernst ethisch eingestellt („heilig““) ist,
nicht aber in einer Volkskirche, in der die „Unheiligen“ sowohl hier wie dort bei
weitem die Majorität bilden.
Es ist für etwaige Pläne einer Wiedereinführung der Kirchendisziplin sehr
lehrreich zu beobachten, auf welchem Wegein unserer heimischen
Volkskirche dieselbe in ca.anderthalbhundert Jahren
rum Sterben gekommen ist.
Nicht die geringste Schuld trugen natürlich die Pastoren selber, indem sie
sich zu einem großen Teile keineswegs als rechte Hirten ihrer Herde und getreue
Diener des Erzhirten Jesu Christi in diesem wichtigen, ebensoviel Ernst wie Weis—