Zur Geschichte der Kirchendisziplin
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heit verlangenden Stücke ihres Amtes benahmen. Die meisten werden wohl aus
Bequemlichkeit, um in Frieden mit ihrer Gemeinde auszukommen, die Zügel der
Kirchenzucht am Boden haben schleifen lassen. Die willenskräftigen Pastoren
sündigten in anderer Weise. Etliche — wir werden sie unter den entschiedenen
Lutheranern zu suchen haben — indem sie in übertriebenem Eifer die Kirchenzucht
allzu strenge handhabten. So klagt Rektor Stanhufius in Schleswig über den
Husumer Pastor (Bokelmann), daß er für die geringfügigsten Vergehungen als—
bald die Kirchenbuße auflege und damit die Gewissen der Gemeindeglieder verwirre
(BumM 7, 144). Andere — und deren werden wohl mehr gewesen sein — hand—
habten die Kirchenzucht „ex privatis affectionibus“, benutzen also nicht nur
(was schon durch die KO verboten war) die Kanzel, sondern auch die Kirchen—
disziplin dazu, persönliche Beleidigungen, ja wohl gar mangelhafte Bezahlung von
Abgaben und Opfern zu strafen. Daß derartiges nicht selten vorkam, beweist die
offizielle Feststellung selches Uebels in der Eiderstedter Ref. und PO (C. S. S.I.
8. 144), wie ebenso in der Husumer.
Die Folge dieser geistlichen Mißbräuche war, daß schon frühe die Verurteilung
zum Kirchenbann, bzw. der Kirchenbuße den Pastoren genommen und an die
Konsistorien verwiesen wurde. So zuerst in Gottorf (vergl. die angezogenen
Reff. und PPOO). Aber auch im Königlichen Teile scheint schon frühe diese Ord—
nung getroffen zu sein, jedenfalls im Amte Flensburg, wie aus Walthers Formu
lar (1634) hervorgeht. In einer Königlichen Verfügung von 1055 (St. A. XX,
769) wird allgemein die Ordnung getroffen, daß der Pastor zum mindesten, wenn
ihm „einig dubium bei der Bannerklärung vorfiele“, die Sache ans Konsistorium
verweisen solle. In der Kön. Konstitution vom 24. October 16016 wurde unter
Punkt 8 GBu 1, 2832, in C. R. H. nicht abgedruckt) verordnet, daß die Kirchen—
disziplin auf Erkenntnis des GS und der Pröpste „exerciret und gehandhabt“
werden sollte.
So verständlich solche Ordnung der Dinge war, so ist doch klar, daß schon
damit die eigentliche Kraft und Bedeutung der Kirchenzucht unterbunden war.
Denn wenn sie neben und statt der polizeilichen und gerichtlichen Zucht einen Sinn
haben soll, muß sie im verborgenen Schoß der Einzelgemeinde und ganz per—
sönlich, ohne gerichtliche Formen, eben als „mütterliche“ Strafe der Kirche ge—
handhabt werden. Indem sie vor das Forum der Konsistorien gezogen wurde, wo
Anklage und Verteidigung ganz nach dem Muster weltlichen Gerichtsverfahrens
vor sich gingen, rückte sie an den Platz weltlicher Gerichtsbarkeit und verlor eo ipso
den seelsorgerlichen Charakter, der ihre Eigenart sein und bleiben sollte.
Aber auch ein anderer Uebelstand wurde bei dieser Ordnung vollends
offenbar. Die konsistorialen Gerichtsverhandlungen kosteten Sporteln, und die
Advokaten ließen sich gut bezahlen. Es war also nur besser gestellten Leuten mög—
lich, mit Aussicht auf Erfolg sich der vom Pastor angeordneten Kirchenbusie durch
Berufung an das Konsistorialgericht zu entziehen — die Armen musßiten sie schon
willig leiden. Und damit treffen wir auf einen zweiten Fehler, welcher in einer
unfreien, überall von den verschiedensten „Obrigkeiten“ eingeengten Kirche sich
von selbst ergab. Es war ganz natürlich, daß „bessere““ Leute wegen der de—
mütigenden Formen, unter welchen sich die offene Buße vollzog, auf alle nur
mögliche Weise sich ihr zu entziehen suchten. Fabr. Vis.berichte erzählen mehr
als ein Beispiel davon. Der hohe Visitator hatte es in seiner dem Volk gegen—
über unabhängigen Stellung leicht, die Pastoren zu unparteiischer Handhabung