Full text: 1517 - 1721 (2)

336 B. 2, K. 5, 9 43. Erziehung zur kirchl. Frömmigkeit 
Eine besondere Betrachtung erheischt das Verhalten des Kirchenvolkes zu 
Beichte und Abendmahl. In diesen Stücken wirkte ja die Tradition 
aus der katholischen Zeit besonders stark nach, und es ist lehrreich zu beobachten, 
wie im Laufe der Zeit alte Sitte und Volksgewohnheit verfällt, zuerst in bezug auf 
die Beichtpraxis, später auch in der Teilnahme am Altarsakrament. 
4. Verfall der Beichte. 
Es ist keine Frage, daß die große volkserziehliche Bedeutung, welche trotz allen 
Mißbrauchs die Beichtpraxis in der katholischen Zeit hatte, von der Reformation 
an je länger desto mehr verloren gegangen ist, nicht ohne Schuld der Geistlichen 
und der Obrigkeit. 
Vei aller Veränderung, welche mit der Beichtpraxis vorgegangen war (vgl. 
oben S. 4180 ff.) war doch das wesentlichste religisse Gut des Bußsakraments, 
nämlich die im Namen Gottes dem Beichtenden vom Priester gegebene Zusage 
der Vergebung der Sünden geblieben. Mit dem religiösen Gut der Absolution 
in der Hand hätte die neue Kirche sehr wohl nach alter Weise und in neuem, 
besserem Geiste die Beichte zur religiösen und sittlichen Erziehung des Kirchen— 
oolkes gebrauchen können. Ich glaube indes der neuen Geistlichkeit, jedenfalls der 
unseres Landes, kein Unrecht zu tun, wenn ich sage, daß sie diese Möglichkeit wenig 
benutzt, vielmehr durch eigene Schuld den Wert der Beichte herabgedrückt hat. 
Einmal insofern, als manche Pastoren die mit dem Amt der Schlüssel ihnen ge— 
gebene priesterliche Gewalt entweder in tyrannischer Weise oder in persönlichem 
Interesse mißbrauchten. Die Folge war, daß schon sehr früh die Obrigkeit ein— 
griff, zum Schutz der Untertanen gegen priesterliche Wergewaltigung dem 
einzelnen Geistlichen den Bindeschlüssel aus der Hand nahm und die Versagung 
der Absolution den Konsistorien überwies. Damit war die erziehliche Verwendung 
der Beichte schon ziemlich annulliert. Wenn der Pastor sich vor Unannehmlichkeiten 
und Weiterungen hüten wollte, war er genötigt, es mit der Absolution möglichst 
leicht zu nehmen. Dazu gab ihm die KO selher ein gewisses Recht, indem sie die 
Beichte vor allem als eine Gelegenheit zur Förderung der religiösen Erkenntnis 
zu benutzen anwies. Die UÜberschätzung der Lehre gegenüber dem Leben, diese Grund— 
gefahr, welche der lutherischen Kirche von Anfang an innewohnte, hat sich auch 
in der Beichtpraxis traurig ausgewirkt: wer seinen Katechismus maulfertig auf— 
sagen konnte, wird die Absolution und damit die Zulassung vom Abendmahl in 
der Regel mit Leichtigkeit erhalten haben. 
Zum andern war es die Bequemlichkeit der Pastoren, wodurch die Beichte ent⸗ 
wertet wurde. Die Gewissenserforschung in der Privatbeichte erforderte viel seel— 
sorgerlichen Ernst, der den meisten Pastoren der orthodoxen Zeit abging. Sie 
erforderte auch Zeit, und insofern hatten selbst die besseren Geistlichen eine Ent— 
schuldigung, wenn die Fülle der Kommunikanten, die sich am Sonntagmorgen vor 
dem Gottesdienst öfter zur Beichte drängte, eine ernsthafte seelsorgerliche Behand— 
lung des einzelnen ausschloß. Zur Behebung dieses Übelstandes wurde entgegen 
der Vestimmung der KO (S. 44) im Jahre 1036 durch die PP (CRHI, 
297)7) verordnet, dast, von Alten und Schwachen sowie Wöchnerinnen abgesehen, 
die Konfitenten sih am Sonnabend oder am Tage vor einem 
7) Vorher schon in der Apenrader Kirchenordnung von 1898 (vgl. Bu M 4, 4.
	        
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