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B. 1, 9 6. Die Reformation Hamburgs
Steinbek. Altona existierte noch nicht, in Ottensen lag eine Kapelle, die mit den
dazu gehörigen Bauernhöfen in St. Petri eingepfarrt war. An geistlichen Stif⸗
ungen gab es neben anderen das von Graf Adolf IV. gegründete franziskanische
Marien-Magdalenenkloster, das dominikanische Johannis-
khoster und das Zisterzienser- Nonnenkloster Har veste hude. Um den
Dom und die Petrikirche herum lagen die Kurien (Wohnhöfe) der Domherren.
Bei der Unzahl der von der wohlhabenden Bürgerschaft gestifteten Memorien
war auch die Zahl der an den Heiligenaltären Messe lesenden Priester eine
ungeheure: in den Jahren 1523— 25 gab es in Hamburg über 400 Geistliche
Wikare, Kommendisten). Das ganze Kirchenregiment lag in den Händen des
Kapitels, und da dies auf seine Privilegien trotzte und sich alle möglichen Eigen—
nächtigkeiten erlaubte, gab es schon vor der Reformation unendliche Streitigkeiten
wischen der selbstbewußten, durch den zwanzigköpfigen Rat vertretenen Bürger—
schaft und den Domherren. Diese Streitigkeiten haben jedoch nicht verhindert,
daß das kirchliche Leben gerade vor der Reformation in hoher Blüte stand.
Von einem Einfluß der „Martinischen“ Bewegung auf Hamburg ist zunächst
wenig zu bemerken. Erst der gewaltige Streit zwischen dem Scholastieus Bans-
ho w und den Juraten der vier Kirchspiele um die Gründung einer neuen Schule
(1522 ff., vergl. Sillem S. 26 ff.) schuf die Erregung, welche nötig war, um
der lutherischen Verkündigung in weiteren Kreisen Gehör zu schaffen. Ab
Pfingsten 1523 entfaltete Stephan Kempe, ein Franziskanermönch aus
Rostock, in der Kirche des Marien-Magdalenenklosters eine gewaltige Wirksam—
keit als Prediger des Evangeliums. Im selben Jahre schon wurden neben einem
Nachdruck des Wittenberger Niederdeutschen Testamentes sechs Flugschriften
Lduthers in plattdeutscher Sprache zu Hamburg gedruckt (Beckey S. 21f.). 1524
erlaubten sich die Juraten und „erbgesessenen Bürger“ von St. Nikolai, ohne
Domkapitel und Rat zu fragen, den Pfarrherrn von Wittenberg, D. Fohannes
Bugenhagen, als ihren Pfarrherrn (und zugleich künftigen Ordner des
ganzen Hamburger Kirchenwesens!) zu berufen. Bugenhagen war auch zu
kommen bereit, aber ein verbietendes Schreiben des Rates ließ ihn in Wittenberg
bleiben; doch hat Bugenhagen sich seitdem der Hansestadt persönlich verpflichtet
gefühlt und mehrfach durch Streitschriften dort zu wirken versucht. Während
das Domkapitel und die im Johanniskloster beheimateten Dominikaner den
Neuerern kräftig entgegenwirkten, empfing die evangelische Sache eine starke
Förderung durch Johann Zegenhagen, der zunächst zum Kaplan an der
St. Katharinenkirche, sodann durch Wahl der Gemeinde zum Pfarrer an St.
Nikolai berufen worden war, und Mag. Johann Fritze, Pfarrherrn an
St. Jacobi (1526). Zegenhagen war es, der zuerst die Feier des Abendmahls
unter zweierlei Gestalt und die deutsche Messe einführte. Den nunmehr vollends
auf den Kanzeln entbrennenden Streit suchte der Rat vergeblich durch ein
Friedensedikt zu beschwichtigen. Es kam schließlich zu einer äffentlichen
Disputation unter Vorsitz des einen Bürgermeisters drei Wochen vor
Pfingsten 1527 (auf seiten der Papisten die alten würdigen Domherrn Bustorp
und Johann Möller), die unentschieden endete,
Die evangelische Bewegung ging jedoch kräftig weiter. Stephan Kempe ward
zum Pfarrherrn an St. Katharinen bestellt und legte die graue Kutte ab, Zegen—
hagen und Fritze verheirateten sich (1527)) St. Nieolai nahm als erste eine
2) Kempe hat das erst 1530 getan.