227
Beziehungen zwischen Mensch und Gott regelt das jüdische
„Gesetz‘“, nicht nur einem metaphysischen Bedürfnisse kommen
die Sätze der Religion entgegen: auch für alle andern denkbaren
Beziehungen zwischen Mensch und Mensch oder zwischen Mensch
und Natur enthalten die Religionsbücher die bindende Norm.
Das jüdische Recht bildet ebenso einen Bestandteil des Religions-
systems wie die jüdische Sittenlehre. Das Recht ist von Gott
gesetzt und sittlich gut und Gott gefällig; sittliches Gesetz und
göttliche Verordnung sind für das Judentum völlig untrennbare
Begriffe 8, In konsequenter Auffassung gibt es sogar gar keine
selbständige „Ethik des Judentums‘. „Die jüdische Sittenlehre
bildet den inneren Quell, genauer das sachliche Prinzip der
jüdischen Glaubenslehre. Die jüdische Ethik ist das Prinzip der
jüdischen Religion.- Sie ist das Prinzip und nicht die Kon-
sequenz. ” Sie kann aus der jüdischen -Religion nur in dem Sinne
abgeleitet werden, wie man die Axiome aus dem Lehrgehalt der
mathematischen Sätze ableitet... Es besteht eine unabtrenn-
bare, unauflösliche Einheit zwischen der jüdischen Sittenlehre
und der jüdischen Gotteslehre ... . Die jüdische Sittenlehre ist
nichts anderes als die jüdische Glaubenslehre‘‘ 224,
Bei keinem Volke ist aber auch so gut wie bei den Juden
Vorsorge geiroffen, daß der Geringste die Vorschriften der
Religion auch wirklich kennt. Schon Josephus meinte: bei den
Juden könne man den ersten besten über die Gesetze befragen:
er werde sämtliche Bestimmungen leichter hersagen als seinen
eigenen Namen. Der Grund liegt in der systematischen Aus-
bildung, die jedes‘ Judenkind in. Religionssachen erfährt; liegt
in der Einrichtung, daß der Gottesdienst selber zu einem guten
Teile dazu benutzt wird, Stellen aus den heiligen Schriften vor-
zulesen und zu erläutern, so zwar, daß während des Jahres
einmal die ganze Thora zur Verlesung kommt; liegt darin, daß
nichts so sehr dem einzelnen eingeschärft wird als die Ver-
pflichtung zum Thorastudium und Schemalesen. ‚In der heiligen
Schriff (Deut. 6, 5) heißt es mit Bezug auf die Gebote und Vor-
schriften Gottes: ‚Du sollst davon reden, wenn du zu Hause
sitzest, wenn du auf Reisen bist, wenn du dich niederlegst und
wenn du aufstehst‘“ 425,
Aber kein zweites Volk ist wohl auch so streng in den
Bahnen gewandelt, die Gott ihm gewiesen, hat die Vor-
ar