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erklären uns angelegen sein ließen: blieben diese Erklärungen
nicht ganz und gar lückenhaft ohne die Annahme einer ganz
bestimmten jüdischen Eigenart? Ich meine doch: schon ein
flüchtiger Überblick über die Ergebnisse unserer Untersuchungen
muß dazu führen, diese Frage mit Entschiedenheit zu bejahen.
Ist es denn nicht absurd anzunehmen: es sei für den Verlauf der
Wirtschaftsgeschichte gleichgültig gewesen, ob in die west-
suropäischen ‚Länder seit dem Ausgange des Mittelalters statt
Juden Eskimos oder warum nicht Gorillas eingewandert wären?!
Gehen wir die einzelnen objektiven Umstände der Reihe
nach durch: die räumliche Verbreitung: nun ebenso-
wenig wie wir die Entstehung der Diaspora ohne subjekti-
vistischen Einschlag erklären können, ebensowenig ihre eigen-
tümliche Wirkung. Wir sollen doch klar darüber sein, daß es
mit der Zerstreuung eines Volkes noch nicht getan ist; daß
keineswegs immer aus dieser Zerstreuung ökonomisch oder anders-
wie kulturell bedeutsame Wirkungen hervorzugehen brauchen,
daß vielmehr die Zerstreuung ebensogut zur Vernichtung, zur
Auslöschung eines Volksstammes führen. kann. i ;
Man sagt — gewiß mit Recht — daß. die. internationale Ver-
breitung die Juden zum Dolmetsch befähigte. Aber auch zum
Unterhändler, zum Vertrauensmann des Fürsten, die seit alters-
her aus solchen Dolmetschen hervorgegangen sind? Bedurfte
as dazu nicht erst wieder besonderer, eigener Veranlagung?
Wir haben ohne weiteres die räumliche Verbreitung der
Juden für einen großen Teil ihres Erfolges im internationalen
Handels- und Kreditverkehr verantwortlich gemacht. Ja — aber
war die Veraussetzung einer solchen Wirkung nicht der Um-
stand, daß die über alle Lande zerstreuten Juden auch nach, der
Zerstreuung zusammenhielten? Wie, wenn sie die inneren
und äußeren Beziehungen nicht aufrechterhielten, wie so manche
in alle Welt versprengten Bestandteile. anderer Stämme und
Völker?
[ch habe selbst auf die Bedeutung hingewiesen, die die Ver-
sprengung der Juden während der letzten Jahrhunderte dadurch
gewonnen hat, daß sie gerade unter Völkerschaften gerieten,
die reif zur Entwicklung ‚des Kapitalismus waren. Aber zu be-
denken ist doch wiederum, dal diese stärke Wirkung, die die
Juden in Holland, England, Deutschland, Österreich-Ungarn aus-