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durch Erwerbung neuer Eigenschaften, sondern) durch Bluts-
vermischung mit Angehörigen anderer Gruppen oder aber inner-
halb der Gruppe selbst durch Auslese. Kollektiv-Psychologie
bedeutet, wie wir sahen, immer die Feststellung von Eigen-
schaften, die in sehr vielen Individuen einer bestimmten sozialen
Gruppe gleichmäßig wiederkehren. Dieselbe Gruppe umfaßt aber
der Regel nach auch Individuen ganz anderer Art, oder genauer:
andere ‚Varietäten‘. Aus irgendwelchen Gründen kann sich
nun. das numerische Verhältnis der verschiedenen Varietäten
innerhalb der Gruppe verschieben (durch Auslese), und die
Gruppe, die zu einer bestimmten Zeit aus 3a, 2b, 1c gearteten
Individuen bestand, besteht nun aus 1a, 2b, 3c gearteten
Teilnehmern. Dann hat sich natürlich ihr kollektiv-psychologi-
scher Habitus verändert — meinetwegen unter dem Einfluß des
„Milieus“ — ohne daß doch irgendwelche Eigenschaften „neu
erworben‘ wären.
So mannigfaltig sind die Möglichkeiten, die uns eine spe-
zifische Eigenart erklärlich machen. Und schon der Überblick
zeigt, wie verwickelt das Problem ist und — wie täppisch die
meisten es behandeln. .
Daß die Antworten gerade auf -diese Fragen die eigentlich
entscheidenden erst sind, bedarf keiner besonderen Begründung.
Aber wir müssen, wenn wir ehrlich sind, auch sogleich gestehen:
daß beim ‘heutigen Stande unseres Wissens eine lückenlose Be-
antwortung dieser wichtigsten Fragen nicht möglich ist. Die
Tendenzliteratur bringt zwar wie überall so auch hier immer
schon Lösungen, aber wer sich auch nur ein wenig in den Gegen-
stand hineingelebt hat, der sieht einstweilen viel mehr Probleme,
viel mehr Rätsel als Lösungen.
Was mir aber im gegenwärtigen Augenblicke not zu tun
scheint, und was allein die Erörterung ‚des Judenproblems aus
dem Zwielicht, in dem sie jetzt steckt, herausbringen kann, ist
eine begrifflich scharfe Erfassung der strittigen Punkte, ist eine
klare Fragestellung und eine urteilsvolle Sichtung des. massen-
haft aufgehäuften Materials, Es ist als ob bei der Behandlung
just der „Judenfrage‘“ und zumal an dem Punkte, wo sie mit
dem allgemeinen „Rassenproblem“‘‘ sich schneidet, alle Teufel
sich verschworen hätten, um die Köpfe zu verwirren.
Was Friedrich Martius unlängst für die Vererbungs-
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